Adams Erbe (German Edition)
mit meinen bloßen Händen erwürgen.«
»Die Kinder?«
Der Scharführer schüttelte den Kopf. »Anita«, flüsterte er. Im Wohnzimmer sang jemand ein Geburtstagsständchen. Bubi rappelte sich hoch, und gemeinsam gingen wir aus dem Badezimmer.
Ehe ich mich’s versah, stürzte sich Bernadette auf mich und zog mich auf die Tanzfläche. Erst als das Mädchen einen kleinen Hund, das lebende Geburtstagsgeschenk einer älteren Dame, entdeckt hatte, entließ es mich aus seinen Diensten.
Ich griff nach einem Glas, das mit Gott weiß was gefüllt war, und wollte mich in eine Ecke verkriechen. Aber Anita schnitt mir den Weg ab.
»Der barmherzige Herr Richter«, sagte sie und lächelte.
»Eigentlich, liebe Anita, waren wir schon einmal beim Du.«
»So?« Sie lächelte noch immer.
»In Kressendorf.« Du hast dich in meinem Bett schwängern lassen, du Kuh, dachte ich.
»Kressendorf. Das kommt mir schon so weit weg vor. Wie ein anderes Leben, Herr Richter.«
Ich nickte freundlich und wollte weitergehen, aber sie hielt mich leicht am Ärmel fest.
»Herr Richter, es ziemt sich nicht, bettelnden Juden Geld zu geben. Sie sollen arbeiten.« Die Schärfe in ihrem Ton kannte ich nicht.
»Das waren Kinder.«
»Auch Kinder können arbeiten.«
Mein Blick fiel auf ihren Bauch. Hatte ich auch die zweite Schwester falsch eingeschätzt? Sie war offenbar nicht nur ein lachendes, ein wenig herrisches Mädchen. Da floss noch etwas anderes durch ihre Adern: gefährlicher Scharfsinn, mit einem Schuss Bosheit.
»Ah, Richter, wieder nüchtern?« Der Obersturmbannführer trat zwischen uns und legte seine Pranke auf meine Schulter. »Und da ist auch meine schöne Anita.« Er verneigte sich. »Störe ich?«
»Ganz und gar nicht, Kurti, ich habe Herrn Richter nur auf… wie soll ich es sagen? Auf sein unpassendes Verhalten hingewiesen.«
»Richter, was haben Sie denn gemacht, Sie Schelm?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen.
»Ich habe zwei bettelnden Kindern ein bisschen Geld gegeben«, sagte ich erschöpft.
»Na, das ist ja kein Verbrechen.« Der Obersturmbannführer lachte laut auf.
»Es waren Juden. Im Ghetto.«
»Kinder«, zischte ich.
»Juden«, zischte Anita zurück.
»Aber, aber. Ihr wollt euch doch jetzt nicht wegen ein paar Judenbälgern die Augen ausstechen. Ich bitte euch –Fräulein!«, rief er einem der polnischen Mädchen zu und fischte drei Gläser vom Tablett. »Anita, meine Liebe, du solltest nicht zu streng zu unserem Herrn Richter sein. Er ist ein sehr wichtiger Mann.«
»Ein Rosenzüchter.« Ihre Stimme troff vor Herablassung.
Giesel erhob seinen Zeigefinger. »Nicht nur das.«
»Was denn noch?«, fragte sie halb spöttisch, halb neugierig. Mir schoss das Blut in den Kopf, und ich warf Giesel einen drohenden Blick zu.
»Das sind Staatsangelegenheiten«, sagte der Obersturmbannführer rasch.
Anita betrachtete mich skeptisch.
»Aha, Staatsangelegenheiten. Herr Richter, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«
Während ich noch über eine Antwort nachdachte, sagte Giesel: »Genug, Anita. Das geht dich nichts an.«
Und im Bruchteil einer nicht messbaren Zeiteinheit lösten sich Kleidung, Haut und Fleisch nacheinander von unseren Skeletten, die sogleich zu drei Knochenbergen zusammenfielen, zu Staub wurden und verschwanden. Ein Bild, so flüchtig, dass es beim ersten Blinzeln verschwunden war. Habe nur ich es gesehen?
Ich erzählte Bussler nichts von dem Gespräch mit Anita und Giesel, es hätte ihn zu sehr aufgeregt.
Der Maestro und ich verbrachten Weihnachten und Silvester zusammen in Krakau, ohne auch nur eines von beidem zu feiern.
Seit dem Tod meines Vaters hatte es im Cohen-Klingmann-Haushalt ohnehin kein Weihnachten mehr gegeben. Als er noch lebte, hockten Greti, Moses und ich an Heiligabend immer im Wohnzimmer vor einer Tanne, während er in seinem Zimmer lag und schrie. Edda blieb lieber auf dem Dachboden. Das Ganze ist mir als eine traurige, unverständliche Angelegenheit in Erinnerung geblieben. Ich habe diesen Tag niemals mit einem Gott oder seinem Sohn oder irgendeiner Jungfrau in Verbindung gebracht. Wir taten das alles für Maximilian Cohen, weil der Baum und die Lieder und die Apfelsinen zu einem deutschen Dezember einfach dazugehörten.
Als er starb und Greti und Moses den jüdischen Glauben wieder für sich entdeckten, wurden der Tannenbaum und das ganze Tamtam, zu meiner Erleichterung und Eddas Genugtuung, endgültig abgeschafft.
Bussler wohnte mittlerweile in einer wesentlich
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