Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
weit offen. Nach einem prüfenden Blick über die Leute entdeckte Adelheid am Fuße des Bergfrieds ein bekanntes und nur allzu vertrautes Gesicht. Bernhard, der Sohn des Lareschen Torwächters stand verloren inmitten der Leute. Ein mit Schaum bedecktes Pferd knabberte neben ihm an dem spärlichen Gras, das zwischen den Pflastersteinen hervorlugte. Bernhard war etwa im gleichen Alter wie Adelheid, als Kinder hatten sie oft zusammen Ballschlagen gespielt. Jetzt sah er erschöpft und ratlos aus. Offenbar hatte er eine Nachricht überbracht, die für helle Aufregung sorgte. In diesem Moment erblickte er Adelheid und kam mit Erleichterung im Blick sofort auf sie zu.
„Was ist passiert, Bernhard?“, fragte Adelheid ihn ohne Umschweife. Beinahe hätte sie den Burschen umarmt, so sehr freute sie sich über das heimatliche Antlitz.
Bernhard deutete nur flüchtig eine Verbeugung an, er wusste, dass Adelheid keinen Wert auf Förmlichkeiten legte. „Die Mülhuser haben in der Nacht Schierendorf überfallen und sämtliches Vieh geraubt. Ihr Vater, Graf Beringer, bittet den Ritter um Beistand.“
Adelheid erschrak. Eine solch dreiste Tat hatte es ihres Wissens schon lange nicht mehr gegeben. Was bewog die Städter zu einer derart hinterhältigen Handlung? Eine Hungersnot dürfte es um diese Zeit nicht mehr geben. Die Natur bot jetzt eine Vielfalt an Nahrung. Vielleicht hatte eine tödliche Seuche ihre eigenen Herden vernichtet? Doch hätten sie in einem solchen Falle auch Vieh kaufen können.
Adelheid wusste, dass ihr Vater als Lehnsherr den Dörflern Hilfe schuldig war, so sah es der Burgfrieden vor. Doch Mülhusen war eine gut befestigte Stadt. Wenn sie das Vieh hineingebracht hatten, was sollte er gegen ihre Mauern ausrichten?
„Das ist furchtbar“, entgegnete sie. „Gab es Opfer unter den Bauern?“
Er zuckte mit den Schultern. „Soviel ich weiß, nicht. Sie haben einen Jungen als Boten geschickt, der vor lauter Aufregung nur stottern konnte.“
„Lass dir in der Küche zu Essen geben. Um dein Pferd wird sich jemand kümmern.“ Sie winkte einem Stallknecht und Bernhard trottete davon.
„Magdalena, wir reiten ebenfalls nach Lare! Such meine Reitkleider heraus.“
Die Zofe riss die Augen auf und schüttelte missbilligend den Kopf, doch Adelheid achtete nicht auf sie. Entschlossen befahl sie dem nächstbesten Knecht, ihr Pferd zu satteln und vorzuführen. Dann lief sie nach oben in die Kammer, um sich anzukleiden. Sie setzte das Gebände noch einmal auf, wobei sie diesmal eine sorgfältige Schleife unter dem Kinn band. Der Vater sollte nicht den Eindruck erhalten, sie lasse sich gehen.
Als sie auf den Hof kam, hielt sich Magdalena wie ein Schatten hinter ihr. Die Männer, die den Ritter begleiten würden, waren bereits bewaffnet und aufgesessen. Diabolus stand im Vorhof, mit einem Männersattel und ohne Schabracke. Neben ihm wartete Magdalenas Maultier und der rothaarige Schopf von Johannes leuchtete ebenfalls in der Nähe. Der alte Rodin hielt ihr den Steigbügel und Adelheid drückte ihm dankbar die Hand. Er nickte ihr aufmunternd zu und tätschelte Diabolus den Hals, was dieser sich überraschend ruhig gefallen ließ. Magdalena hievte sich mit Johannes’ Hilfe mühevoll auf ihr Reittier und die kleine Truppe setzte sich in Richtung Burgtor in Bewegung.
Draußen vor der Zugbrücke ordnete der Ritter mit blaffenden Befehlen seine Truppe, die aus etwa zwanzig Bewaffneten bestand. Einige sahen noch recht angeschlagen aus nach der durchzechten Nacht. Ihnen würde der Ritt im taufrischen Wald sicher gut tun. Als Diabolus mit seiner Herrin über die Holzplanken der Brücke polterte, verstummten die Männer erstaunt. Auch der Ritter schwieg für einen Moment überrascht, mit verkniffenem Gesichtsausdruck musterte er ihre Kleidung und den Männersattel.
Recht schnell fand er jedoch seine Sprache wieder: „Wohin des Wegs, Frau Adelheid? Ein Ausflug zu dritt?“ Seine Stimme troff vor Hohn und seine Männer lachten unterdrückt.
Adelheid ließ sich nicht verunsichern, obwohl der Tonfall sie an die scheußlichste Nacht ihres Lebens erinnerte. „Ich begleite Euch, Herr Ritter! Habt Ihr vergessen? Ich bin Euer Weib – in guten und in schlechten Zeiten!“
Diesmal hatte sie die Lacher auf ihrer Seite und das feiste Gesicht des Ritters lief puterrot an. Abrupt wendete er seinen Grauschimmel und bellte den Befehl zum Aufbruch. Mit wildem Geschrei gaben die Männer ihren Gäulen die Sporen und galoppierten in den
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