Adelheid von Lare: Historischer Roman um die Stifterin des Klosters Walkenried (German Edition)
Vater davon gesprochen hatte, den Wächter durch seinen Sohn Bernhard abzulösen, weil der Alte nicht mehr gut hören konnte. Sie lief über die Zugbrücke zum Vorhof, bis sie in Sichtweite des Haupttores kam und rief noch einmal. Diesmal kam die Antwort sofort: „Ich sehe nichts!“
Wenn der Tross in der Nacht marschieren würde, dann gäbe es wenigstens in der Nähe der heimatlichen Burg ein paar Fackeln als Erkennungszeichen. Aber vielleicht war der Vater mit seinem Gefolge von der Dunkelheit überrascht worden und sie lagerten diese eine Nacht im Wald. Die dichten Laubwälder der Hainleite waren nachts nur sehr schwer zu passieren. Andererseits – sie warf einen prüfenden Blick zum Himmel – die Nacht versprach klar zu werden, der halbvolle Mond spendete sogar etwas Licht und der Vater kannte jeden Weg in seinem Jagdrevier.
Wenn sie ihrem innersten Drang hätte nachgeben können, wäre sie genau wie vor zwei Tagen sofort losgeritten. Doch noch einmal wollte sie nicht so unbedacht handeln. Außerdem wusste sie nicht, welchen Weg durchs Helbetal die Männer nehmen würden. Und schließlich hatte sie hier auf der Burg auch eine Verantwortung.
Also raffte sie sich wieder auf und versuchte, klare Gedanken zu fassen. Sie lief weiter zum Haupttor und bat die Schwiegertochter des Wächters, sie sofort zu informieren, wenn es etwas Neues gäbe. Bernhard war mit in den Kampf gezogen und die arme Frau wartete auch bereits in banger Sorge. Adelheid redete ihr gut zu, obwohl sie selbst Zuspruch bitter nötig gehabt hätte. Dann lief sie zurück zur Kernburg. Zwischendurch blieb sie mehrmals stehen und lauschte auf Geräusche außerhalb der Mauern. Ein Fuchs kläffte irgendwo am Waldrand und ein Käuzchen schrie, die Baumwipfel rauschten im Nachtwind. Doch Geräusche, aus denen sie auf herannahende Reiter schließen konnte, waren nicht zu vernehmen.
In der Kemenate saßen die Frauen vor dem sauber aufgestapelten Verbandszeug und warteten. Sie hatten alles getan, was getan werden konnte. Die Knechte harrten unten im Saal aus. Niemand ging zu Bett. Die Nacht zog sich in die Länge. Bei jedem unbekannten Geräusch sprang Adelheid auf und lief ans Fenster, in der Hoffnung, die junge Frau aus dem Torhäuschen würde über die Zugbrücke kommen und mit fröhlicher Stimme ihre Nachricht in den Hof rufen. Mehrmals lief sie hinüber zur Kapelle, um inbrünstig zu beten. Einmal kam Pater Caesarius dazu und fragte sie, ob er eine Messe lesen solle. Sie schickte ihn weg. Zu sehr erinnerte er sie an den schwärzesten Tag in ihrem Leben, ihre Trauung mit Ritter Dietmar.
Doch der Morgen graute nach endlosen Stunden, ohne dass wenigstens ein Bote gekommen war. Adelheid spielte mit dem Gedanken, einen Spähtrupp hinaus zu senden. Doch von den wenigen Männern, die noch auf der Feste waren, konnte sie niemanden entbehren. Die Verteidigung der Burg musste immer gewährleistet sein, das war oberstes Gebot. Wenn wenigstens Johannes da gewesen wäre, um ihr zur Seite zu stehen, er hätte vielleicht einen Rat gewusst. Alwina kannte sich in strategischen Dingen überhaupt nicht aus. Mit Magdalena konnte sie auch nicht rechnen, die Zofe ging ihr mit düsterem Blick aus dem Weg und versteckte sich hinter ihrer Arbeit. Sie schien etwas zu ahnen, aber Adelheid scheute sich, sie direkt zu fragen.
Der Küchenmeister hatte für alle ein Frühstück zubereitet, das sie schweigend und ohne Appetit einnahmen. Zuvor waren sie zur Frühmesse gewesen und hatten gebetet, das Einzige was ihnen zu tun geblieben war.
„Frau Adelheid! Frau Adelheid!“ Rufe zerrissen die bedrückende Stille. Jeder hörte sofort die Panik in der Stimme der Frau, die über die Zugbrücke gerannt kam. Das Gesinde tauschte ängstliche Blicke, während alle aufsprangen und nach draußen rannten.
Atemlos fiel die Schwiegertochter des Torwächters ihrer Herrin fast die Arme. „Ein Trupp Berittener, Frau Adelheid, … aber es sind nicht die Unseren!“ Sie schnaufte und die Angst trieb ihr die Tränen über die Wangen.
Die Leute hinter Adelheid standen für einen Moment wie erstarrt, ihre Herrin fasste sich als erste.
„Ist das Haupttor versperrt?“, fragte sie die keuchende Frau.
Diese nickte mit geschlossenen Augen.
„Gut. Bereitet alles vor für eine eventuell notwendige Verteidigung. Ich werde Ihnen entgegenreiten. Magdalena, du begleitest mich. Zwei Frauen erscheinen ungefährlich. Ihr zieht euch in die Kernburg zurück, falls sie angreifen sollten, nehmt das Vieh
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