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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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haben wollen? Warum sollte man überhaupt irgendwo hingehen?«
    Darauf wusste ich keine Antwort. Ich sah hilflos zu Louise, doch die mied meinen Blick. Es gab kein gemeinsames Lachen.
    Nach dem Essen begaben wir uns alle in den Salon , und Mademoiselle vertrieb sich die Zeit damit, Profile von Gesichtern auf schwarzes Papier zu zeichnen und sie gewissenhaft auszuschneiden. Ihr zu Gefallen bewunderte ich dieseSilhouetten in dem besten Französisch, das ich zustande brachte, aber sie dankte es mir nicht. Sie bemerkte lediglich, dass es an den Winterabenden nichts anderes zu tun gebe, als Silhouetten aus schwarzem Papier auszuschneiden, und dass sie im Laufe der Jahre schon über fünfhundert ausgeschnitten habe.
    »Wie Sie sehen, Monsieur«, sagte sie, »bin ich keineswegs müßig.«
    »Das sehe ich, Mademoiselle«, erwiderte ich. »Und ich würde sehr gern einen Blick auf diese fünfhundert Silhouetten werfen …«
    »Heißt das, Sie misstrauen mir?«
    »Ich misstraue Ihnen keinesfalls.«
    »Warum belästigen Sie mich dann mit der Bitte, sie zu sehen? Was allein zählt, ist, dass ich sie mache.«
    Erneut blickte ich hinüber zu Louise, doch sie schwieg und arbeitete, ohne den Kopf zu heben, weiter an ihrer komplizierten Stickerei. Nachdem das Gespräch mit Mademoiselle Corinne zum Erliegen gekommen war, sah ich mich mit einem Mal als Einzigen im Zimmer ohne Beschäftigung, und diese plötzliche Untätigkeit war mir lästig.
    Ich erinnerte mich an das, was Pearce einst zu sagen pflegte, wenn ich mit ihm angeln ging – dass ich stets »zu rastlos« sei –, und deshalb versuchte ich, ruhig in meinem Sessel zu sitzen, ins Feuer hinter dem Kaminrost zu blicken und alle Gedanken an die kommende Nacht und was sie bringen oder nicht bringen würde, zu verscheuchen.
    Ich sah auf meine Beine hinunter. Ich hatte ein Paar taupefarbener canons angelegt, für die ich dem Schneider in der rue de l’Oiseau eine beträchtliche Summe gezahlt hatte. Doch nun erschienen mir meine Beine, die eher dünn und mickrig sind (im Gegensatz zu meinem Bauch, der trotz der Hafersuppe-Erbsen-Diät in Versailles immer noch beträchtlich ist), mit diesen albernen Rüschenringen, wie Geier sie an ihren scheußlich schuppigen Beinen tragen, unglaublichlächerlich, und ich konnte nicht verhindern, dass mich eine große Melancholie befiel.
    »Du bist ein törichter Sterblicher, Merivel«, sagte ich zu mir. »Du hast dich von etwas verführen lassen, was keine Zukunft hat. Das nächste Mal wirst du diese canons wohl in der Galerie des Glaces in Versailles tragen, und deine Rolle als Bittsteller wird kein Ende haben, allenfalls ein Ende mit Schrecken.«
    Es hielt mich nicht mehr in meinem Sessel. Ich stand auf und entschuldigte mich, so heiter ich vermochte, mit einer Verbeugung bei den Damen: Das »wundervolle Umherwandern in der Stadt« habe mich derart ermüdet, dass ich mich jetzt gerne zurückziehen würde.
    »Was hat er gesagt?«, piepste Mademoiselle Corinne.
    »Er sagte, er ist müde«, antwortete Louise. »Ich habe ihn erschöpft.«
    Fest entschlossen, mich so zu verhalten, als würde ich nichts mehr von diesem Abend erwarten, entkleidete und wusch ich mich und ging zu Bett. Meine Perücke hängte ich über die Türklinke. Ich lag zwischen meinen Leintüchern und kratzte mich am Kopf.
    Hoffentlich hatte ich mir in meiner Zeit mit Hollers keine Läuse geholt. Im Übrigen war ich mit einem Mal recht froh, dass mein Haar, obgleich drahtig und rau (in dem Keil hatte ich es mit den »Borsten eines Igels« verglichen), noch einigermaßen dicht war, während viele Männer meines Alters von einer entstellenden Kahlheit heimgesucht wurden. Anders als manche von ihnen hatte ich keine Angst davor, ohne meine Perücke gesehen zu werden, und ich sagte mir, dass mein Anblick Louise, falls sie in mein Zimmer kommen sollte, nicht über Gebühr erschrecken würde.
    Doch, ach, sie würde nicht kommen. Dessen war ich inzwischen fast sicher. Sie war sehr zärtlich und kokett gewesen, aber nach meinem plumpen Vorschlag, mich zum Liebhaberzu nehmen, hatte sie sich plötzlich zurückgezogen. Das hatte ich ganz und gar nicht erwartet, und ich gestehe, dass ich immer noch Mühe habe, ihr Verhalten zu verstehen, aber ich wusste, dass sie ihre Gründe hatte.
    Ich lag in der Dunkelheit und überlegte: Was würde König Charles wohl in dieser unklaren Situation tun? Doch dann dachte ich, dass ihn solch ein Problem aller Wahrscheinlichkeit nach niemals quälen würde, da

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