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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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nennt. Sie werden erraten, um welche Art von Gesellschaft es sich handelt. Ihre Mitglieder lieben nur Männer, und de Flamanville ist einer von ihnen. Madame de Maintenon sähe es gern, wenn der König sie verbieten würde, aber was soll er machen, wenn sein eigener Bruder, der Duc d’Orléans, zu ihren Gründern gehört?«
    »Ich verstehe.«
    Louise nahm noch einen Schluck. Ihre Haselnussaugen leuchteten, und ihr Blick war eindringlich.
    »Vielleicht sollte ich Ihnen diese Dinge nicht erzählen, Sir Robert, doch in Ihnen scheine ich einen Geist gefunden zu haben, der dem meinen verwandt ist. Ich führe ein sehr einsiedlerisches Leben, und ich fürchte, es hat mich zu kühn gemacht. Ich hatte Liebhaber …«
    »Louise«, sagte ich, »denn so möchte ich Sie von nun an nennen dürfen – und Sie müssen mich Merivel nennen, da dieser Name mir am liebsten ist –, ich freue mich, dass Sie Liebhaber hatten. Und ich hoffe, sie waren so wild wie Leoparden und so sanft wie neugeborene Hunde.«
    Louise lächelte. »Ich erinnere mich kaum noch an sie«, sagte sie, »es ist so lange her.«
    Ich nahm noch einen Schluck, und es schien mir, als habe mir Wein noch nie so gemundet wie in diesem Augenblick.
    »Ich möchte gern, dass Sie meinen Namen sagen«, erklärte ich. »Sagen Sie ›Merivel‹.«
    »Merivel«, wiederholte sie leise. Und das Aussprechen meines Namens griff mir ans Herz. Ich nahm Louises Hand.
    »Sagen Sie: ›Merivel, möchten Sie mein Liebhaber sein?‹«
    Ich dachte, ihre Antwort käme ohne Zögern. Sie war eine kühne Frau, die, wie mir schien, durch nichts zu schockieren war, und die Enthüllungen über ihren Gemahl und ihre Liebhaber hatten mich, so glaubte ich, ihrem Bett näher gebracht. Doch zu meinem großen Unbehagen entzog sie mir plötzlich ihre Hand, errötete und sagte, sie könne nicht aussprechen, worum ich sie gebeten hätte. Und nun war es an mir, mich zu fragen, ob ich, wenn ich an die Leidenschaft dachte, mit der ich sie im Jardin du Roi geküsst hatte, zu stürmisch und zu berechnend gewesen war.
    Am Nachmittag suchten wir Monsieur Durand auf, einen namhaften Schneider in der Rue de l’Oiseau, nahe der Porte Saint Antoine. Er sollte die Änderungen an meiner Kleidung vornehmen, die mir bei meinem Aufenthalt in Versailles nahegelegt worden waren.
    Während ich mir Schulterbänder anschaute und canons in verschiedenen Farben und Ausführungen anprobierte, bedauerte ich im Stillen, dass ich, da Louise sich keineswegs für mich als ihren Liebhaber entschieden hatte, ihre Gastfreundschaft in Paris wohl nicht länger würde in Anspruch nehmen und ziemlich bald nach Versailles zurückkehren und mein Armeleuteleben wieder aufnehmen müssen.
    Bei dieser bitteren Vorstellung musste ich sofort an meine Pritsche, an den Geruch nach Erbsen in Salzlake und an den Anblick von Hollers auf dem Nachttopf denken.
    »Holla!«, sagte ich plötzlich, »das Leben ist wahrhaftig nichts als Gegensatz und Widerspruch!«
    Ich stieß einen langen Seufzer aus. Ein Paar scharlachfarbener canons zwickten mich höllisch an den Beinen, und ich schleuderte sie von mir. Ein Gefühl maßloser Enttäuschung und Wut stieg in mir auf, wie ich es aus meinem früherenLeben so gut kannte, und ich wusste, dass ich es unbedingt zügeln musste, um zu erreichen, was ich mir vor allem anderen wünschte.
    »Woran denken Sie?«, fragte Louise ernst, während der Schneider die canons auflas, die ich so gereizt durch den Raum geschleudert hatte.
    »Ich dachte an Hollers«, erwiderte ich. »Während die Zeit hier auf so angenehme Weise fliegt, kriecht sie für ihn zweifellos nur schleppend dahin. Und ich weiß, dass dieses Kriechen von Zeit nur schwer zu ertragen ist.«
    »Das stimmt«, sagte Louise. »Aber Ihr Freund muss lernen, geduldig zu sein. Madame de Maintenon hat Recht: Man kann eine Uhr erst beurteilen, wenn man sie einige Tage und Nächte lang beobachtet hat.«
    Nächte.
    Ich wünschte die Nacht herbei, und ich wünschte sie nicht herbei.
    Wir setzten uns artig zum Nachtmahl nieder, sahen zu, wie Lauchsuppe von Mademoiselle Corinnes Kinn tropfte und Entenfleischstückchen ihr schwarzes Seidengewand besudelten. Ich versuchte, mich mit ihr über die tausenderlei Waren zu unterhalten, die es in der rue de l’Oiseau zu kaufen gab. Aber alles, was sie sagte, war: »Ja, ja, ich kenne diese Straße, aber ich begebe mich nicht dorthin. Warum sollte ich auch? Um Besen oder Vogelkäfige oder Spielzeug zu kaufen? Warum sollte man so etwas

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