Adiós Hemingway
unterm Arm hatte er alle Fenster geöffnet, den Ventilator angestellt und sich nackt aufs Bett gelegt. Als er das Laken unter seinem Hintern spürte, überfiel ihn die Erinnerung an die nun schon zu lange abwesende Tamara und verwandelte seinen Hodensack in eine verschrumpelte Frucht. Er war hin und her gerissen zwischen dem wachsenden Verlangen, wieder mit ihr zu schlafen, und der Angst, es nie mehr tun zu können. Die Angst blieb Sieger. Wenn Tamara nun nicht mehr zurückkehrte? Der bloße Gedanke daran, die einzige Frau zu verlieren, die er nicht verlieren wollte, machte ihn krank. Er hatte schon zu viele Verluste erlitten, um diesen neuen auch noch wegstecken zu können. Mach doch keinen Scheiß, Tamara, tu mir das nicht an, sagte er laut und schlug das Buch auf. Er wollte die letzten Jahre des Schriftstellers nachempfinden, nachleben, sich in dessen Ängste und Obsessionen hineinversetzen, die Motive ergründen, die ihn dazu getrieben hatten, sich den Lauf des Jagdgewehrs in den Mund zu schieben. Doch kaum hatte er fünfzehn Seiten gelesen, überkam ihn eine bleierne Müdigkeit. Der Schlaf übermannte ihn, als wolle er ihn entschädigen für seine erzwungene Abstinenz und die quälenden Gedanken an Ava Gardners schwarzen Slip, der ihm entgangen war.
Das Ergebnis war so verheerend, dass er noch einmal unter die Dusche musste. Das kalte Wasser wusch den Schmutz der Begierde ab und machte ihm bewusst, was er vor dem Einschlafen gelesen hatte. Möglicherweise war der zerstörerische Verfolgungswahn, der Hemingways wachen Geist in den letzten Lebensjahren verdunkelt hatte, der Hauptgrund für seinen Selbstmord. Zwei Jahre zuvor hatte er begonnen, sich vom FBI verfolgt und überwacht zu fühlen, was er jedoch darauf zurückzuführen pflegte, dass ihn die Vereinigten Staaten der Steuerflucht verdächtigten. Das aber war so unglaubhaft, dass Manolos These plausibel wurde: Dahinter musste mehr stecken, etwas, das bis jetzt geheim gehalten wurde. Aus einem Bericht des FBI ging hervor, dass es Hemingway bereits seit dem Spanischen Bürgerkrieg auf den Fersen war, vor allem jedoch seit seiner abenteuerlichen Jagd auf deutsche U-Boote während der Geheimoperation Crook Factory »Gaunerfabrik«, wie er die Bande seiner versoffenen Kumpane zu nennen pflegte –, versorgt mit Gratisbenzin, und das in Zeiten der Benzinrationierung. In jenem Bericht waren fünfzehn Seiten geschwärzt, »aus Gründen der nationalen Sicherheit«, wie es hieß. Was wussten das FBI und Hemingway voneinander? Was war das für eine sensationelle Information, die das FBI zur Geheimhaltung zwang und ihm das Gefühl gab, verfolgt und unter Druck gesetzt zu werden? Konnte es da um jene Leiche gehen, die samt Dienstmarke auf dem Grundstück verbuddelt worden war? El Conde hatte mehr und mehr den Eindruck, dass dieses Blech mit den drei Buchstaben ihm vorgab, in welcher Richtung er suchen musste. Doch wollte es nicht so recht in sein Gedankengebäude passen, dass Hemingway ausgerechnet einen Agenten des FBI getötet haben sollte, und das auch noch auf seinem eigenen Grund und Boden.
Nur mit einer Unterhose bekleidet, ging Mario in die Küche, setzte Kaffee auf, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete den Umschlag der Biografie, von dem ihn ein noch kräftiger und selbstsicherer Hemingway aus einem Fenster der Finca Vigía ansah. Hast du ihn getötet, oder hast du ihn nicht getötet?, fragte er ihn. Was auch immer der Schriftsteller mit dem Mord zu tun hatte, es schien der Anfang seines grausamen Endes gewesen zu sein. Das Gefühl, vom FBI gehetzt zu werden, dazu vom Unglück, bis hin zum Krebs, verfolgt zu sein, weichte den harten Mann am Ende seines Lebens auf. Wie jeder arme Kerl, der von Psychosen und Depressionen gequält wird, landete er in einer Klinik. Um ihn von seinem angeblichen Wahnsinn und seinen tatsächlichen Obsessionen – mein Gott, fragte sich Mario, was ist ein Schriftsteller ohne seine Obsessionen? – zu heilen, verpasste man ihm dort eine Serie von fünfzehn Elektroschocks, die im Stande waren, jedes Gehirn verglühen zu lassen, stopfte ihn bis zur Halskrause mit Antidepressiva und angstlösenden Medikamenten voll, unterwarf ihn einer unmenschlichen Diät und führte so seinen endgültigen, grausamen Zusammenbruch herbei. Kein Wunder, dass dieser Mann, der so stolz war auf seine Jagd- und Kriegsverletzungen, bei der ersten Einlieferung in die Mayo-Klinik einen falschen Namen angab. Jener Krankenhausaufenthalt hatte so gar
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