Adiós Hemingway
spielte mit dem Gedanken, ein letztes Mal in Afrika auf Safari zu gehen; und warum nicht einen Herbst in Paris verbringen? Zu viele Pläne vielleicht. Außerdem musste er, bevor der Tod kam, entscheiden, ob er Paris – Ein Fest fürs Leben endgültig den Flammen übergeben sollte oder nicht. Ein wunderschönes, ehrliches Buch, in dem er aber zu offen über gewisse Dinge sprach, an die man sich auf ewig erinnern würde. Ein unbestimmtes Gefühl hatte ihn veranlasst, das Manuskript wegzuschließen, in der Hoffnung, eine plötzliche Erleuchtung werde irgendwann über dessen weiteres Schicksal – Druckerpresse oder Feuer – entscheiden.
Kitty Cannell, eine Freundin von Hadley, seiner ersten Frau, hatte es ihm einmal offen ins Gesicht gesagt: Sein Talent, auf jeden loszugehen, der ihm helfe, kotze sie an, hatte sie ihn angeschrien, seine Rachsucht, sein Egoismus, seine Boshaftigkeit, seine Grausamkeit. Wahrscheinlich hatte Kitty Recht. Um die Zeit in Paris heraufzubeschwören, die Jahre des Hungers und der Arbeit und des Glücks, dazu hätte er nicht so über Gertrude Stein herziehen müssen, obwohl die heimtückische Alte es verdiente, dieses Mannweib. Und schon gar nicht über den armen Scott, auch wenn der ihm mit seiner Zerbrechlichkeit auf die Nerven gegangen war, mit seiner Unfähigkeit, sich wie ein Mann zu benehmen, mit seiner ständigen Angst vor den abfälligen Bemerkungen von Zelda Fitzgerald, dieser unzurechnungsfähigen Vogelscheuche, über die Größe seines Penis. Und warum er über die alte Dorothy Parker, den längst vergessenen Louis Bloomfield und den bescheuerten Ford Madox Ford hergefallen war, wusste er selbst nicht mehr so genau. Nur gut, dass er sich die Geschichte über das Ende seiner Freundschaft mit Sherwood Anderson verkniffen hatte, nachdem dieser ihm die Briefe, Referenzen und Adressen hatte zukommen lassen, die ihm all die Türen zum Paris der Nachkriegszeit geöffnet hatten. Jene bösartige Parodie über den Altmeister geschrieben zu haben, nur um sich Andersons Verleger, mit denen er die Veröffentlichung seiner weiteren Bücher vereinbart hatte, vom Halse zu schaffen, das war schäbig von ihm gewesen, allerdings gut bezahlt von seinen neuen Verlegern. Die Wunde, die er einem Menschen, der sich ihm gegenüber anständig und selbstlos verhalten hatte, hinterrücks zugefügt hatte, konnte auch durch seine Verfügung, dass Die Sturmfluten des Frühlings nicht wieder aufgelegt werden dürfe, nicht geheilt werden.
Zehn Jahre zuvor hatte es Aufsehen erregt, dass er seine Ernennung zum Mitglied der Amerikanischen Akademie der Künste ablehnte. Was wurde nicht alles geschrieben: Der Widerspruchsgeist des ewigen Bilderstürmers … Das natürliche Leben und Schreiben fernab von Akademien und Literaturzirkeln, hin und her pendelnd zwischen einer Finca bei Havanna und dem Krieg in Europa. Das rettete ihn vor dem Scheiterhaufen McCarthys, auf dem ihn das FBI und dessen Chef, der Schrecken verbreitende Edgar Hoover, gern gesehen hätten. Niemand jedoch konnte sich vorstellen, dass die Verweigerung gegenüber dem Literaturbetrieb auf seine Unfähigkeit zurückzuführen war, sich mit anderen Schriftstellern auszutauschen und Männer wie Faulkner oder Dos Passos neben sich zu ertragen. Der selbstgefällige Patriarch der Südstaaten hatte ihn schonungslos attackiert und ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, indem er ihn als Feigling titulierte. Geschliffen und bösartig zugleich hatte er ihn als »den am wenigsten gescheiterten aller modernen amerikanischen Schriftsteller« bezeichnet; doch der Grund für sein »geringeres Scheitern« sei seine »umso größere künstlerische Feigheit«, hatte er geurteilt. Er, der die amerikanische Sprache von all ihrem euphemistischen Brimborium befreit hatte und von »Eiern« sprach, wenn »Eier« gemeint waren? Und Dos Passos’ Feigheit, warum erwähnte Faulkner die nicht? Aus Spanien zu fliehen und die republikanischen Reihen im Stich zu lassen, als die gemeinsame Sache ihn am Nötigsten gebraucht hätte – gab es größere Feigheit in einer Situation, in der sich ein Mann beweisen kann und muss: im Krieg? Das Leben eines Einzelnen über die Interessen eines ganzen Volkes zu stellen, war unverzeihlich und dumm, genauso wie die Behauptung, der Tod des Übersetzers Robles sei dem langen Arm Stalins zuzuschreiben. Sicher, Stalin hatte die Revolution an sich gerissen, hatte am Ende mit den Nazis paktiert, hatte Finnland und einen Teil Polens überfallen,
Weitere Kostenlose Bücher