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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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vernichten.
    Er schnaubt verächtlich durch die Nase. Nach einer Weile macht mich das Schweigen verlegen, fast als wäre er ein hübsches Mädchen, mit dem es ein Gespräch zu führen gilt. Sein Ziegenbart fällt mir ein, der ist auch nicht mehr da. Plötzlich bin ich nicht mehr sicher, ob das wirklich Tom Techniker ist, vielleicht ist es ein anderer, nur mit dem gleichen Piercing, und der Hosenbund hängt auch wie bei Tom in den Kniekehlen, aber das will nichts heißen. Ist mir auch egal, wer er ist, Hauptsache, er verschwindet wieder und macht keinen Ärger, bevor Clara von woher auch immer wieder auftaucht. Ich deute mit dem Finger, und er wirft mir seinen Tabaksbeutel zu. Es ist Van Nelle Rot, die gleiche Sorte, die Shershah und ich immer gedreht haben, aber der Warnhinweis des Gesundheitsministers ist auf Polnisch, palenie tytoniu powoduje choroby serca . Ich muss erst mal ein Plastiksäckchen mit kleinen glatten Pillen herausnehmen, bevor ich an die Blättchen und den Tabak herankomme.
    Tu er das wieder rein, sagt er.
    Wie geht’s Ross, frage ich.
    Gut, sagt er prompt.
    Wir schweigen, bis auch meine Zigarette brennt.
    Hör mal, sage ich, bist du wirklich den ganzen weiten Weg aus Leipzig gekommen, um ein Kippchen mit mir zu schmauchen?
    Du kapierst wohl nicht, sagt er wütend, dass das meine Karre ist, mit der ihr bei Nacht und Nebel abgehauen seid?
    In der Aufregung vergisst er ganz, mich in der dritten Person anzureden. Fast rührt es mich, er muss ja gut zehn Jahre jünger sein als ich.
    Pass auf Kleiner, sage ich freundlich, damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Du bist wahrscheinlich sogar besser über Claras Pläne informiert als ich. Ich bin einfach nur ein willenloses Stück Scheiße, das sich in die eine oder andere Ecke schaufeln lässt, ganz egal.
    Das mit der Scheiße stimmt schon mal, sagt er, aber …
    Offensichtlich will er noch etwas hinzufügen, weiß aber nicht, wie er damit anfangen soll. Er wendet den Kopf hin und her wie ein Geistesgestörter, sein Blick bleibt nie länger als eine Sekunde auf demselben Fleck. Ich weiß schon, warum die goldene Regel immer lautete: Nimm alles und viel, aber nur, was Mutter Natur dir bietet. Keine synthetischen Drogen. Der Vorteil ist, dass Tom sich bald wieder verpissen wird, weil er es in diesem Zustand sicher nicht länger als eine Viertelstunde am selben Ort aushalten kann.
    Du kannst ja hier auf sie warten, sage ich hilfsbereit, wenn sie kommt, gibt sie dir bestimmt die Schlüssel und du hast deinen Wagen wieder.
    Er dreht sich zum Schuppen und schlägt mit der Faust gegen die Wand.
    ICH SCHEISS AUF DEN WAGEN, brüllt er.
    Ach so, sage ich, aha.
    Er kommt zwei Schritte näher, und für den Fall, dass er wieder nach mir schlägt, versuche ich schon mal, auf der Hut zu sein. Aber er greift nur nach seinem Tabak.
    Ihr geht zu weit, sagt er, ich hatte keine Ahnung, dass sie nach Wien fahren will. Er macht ihr mit seiner verschissenen Psychostory den Kopf kaputt.
    Wer, frage ich.
    Er zeigt auf mich.
    Er, sagt er.
    Ach so, sage ich wieder.
    Er reitet uns alle mächtig in die Scheiße, sagt er. Ihr könntet hier genauso gut mit Plutoniumstäben Kricket spielen. Kapiert er das?
    Ich, sage ich, mache überhaupt nichts. Aber das mit den Plutoniumstäben ist keine schlechte Idee.
    Er streicht sich mit beiden Händen über das Gesicht, zerreibt dabei fast seine frisch gedrehte Zigarette auf den Backen und bleibt mit dem kleinen Finger am Piercing hängen, dass es ihm die Nase verbiegt.
    Die Lebensmüdigkeit, sagt er zwischen seinen Händen, nimmt ihm außer Clara sowieso keiner ab. Aber wofür braucht er das Mädel überhaupt?
    Das ist keine unwichtige Frage, sage ich, nur was geht dich das an?
    Clara ist eine Freundin, sagt er. Ich war blöd genug, ihr die Infos zu deinem Fall zu geben. Die kann so verdammt stur sein.
    Insoweit gebe ich ihm recht.
    Hätte ich bloß die Schnauze gehalten, sagt er.
    Ich kratze mich in meinem tauben Ohr, um Zeit zu gewinnen. Die Gedanken legen in meinem Kopf lange Strecken zurück, um zueinander zu finden. Eine Vorstellung kommt in mir auf, die geeignet ist, mich völlig außer Gefecht zu setzen. Ich sehe Tom, wie er im Sender sitzt und meinen ersten Anruf mithört, wie er danach zu Clara sagt, »Ich weiß wer das war« oder »Den Typen kenne ich«. Vielleicht wurde er auch erst mal bleich und sagte »Ach du Scheiße, die Kleine vom Herbert ist tot«.
    Wer, frage ich, bist du eigentlich?
    Er schaut mich zweifelnd an, als

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