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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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über und über fleckig vom Staub der Bodenplanken, auch an ihrer Haut klebt Dreck, besonders in den Kniekehlen und Armbeugen, wo der Schweiß sich sammelt. Nur ihr Gesicht ist weiß und sauber, ich wische es regelmäßig ab, die Haut ist glatt und wirkt dünn, als könnten schon bei einem zu heftigen Gesichtsausdruck feine, hellrote Risse entstehen. Aber ich habe schon lange keinen Gesichtsausdruck mehr an ihr gesehen.
    Weil du so schön bist, flüstere ich, und dich nicht wehren kannst, werde ich dir den Rest der Geschichte erzählen. Und immer nur die Wahrheit.
    Vielleicht hätte ich abhauen sollen, sagt sie, als ich noch konnte.
    Du willst weg?, frage ich.
    Ich hätte nicht mal die Kraft, es bis zum Bahnhof zu schaffen.
    Gut zu wissen, sage ich.
    So lange am Stück habe ich sie schon lange nicht mehr sprechen hören, auch ihr scheint es besser zu gehen. Ich zünde eine weitere Zigarette an und klemme sie zwischen ihre Finger. Ich muss ihr die Hand zusammendrücken, damit die Zigarette nicht herausfällt.
    Max, sagt sie, es ist absurd, aber ich habe Angst.
    Sie dreht die Augen in meine Richtung, und nach ein paar Versuchen hat sie mich im Fokus. Wir sehen uns an.
    Ich habe Angst, sagt sie leise.
    Schön, sage ich, endlich wirst du normal.
    Ihr Nicken ist so langsam, dass man es mit bloßem Auge kaum wahrnehmen kann.
    Die Schuppentür klingt wie ein ganzer Frühlingswald voller Vögel. Drei Wochen lang hat niemand sie in den Angeln bewegt, jetzt mache ich sie nur zum Spaß ein paar Mal auf und zu und lausche dem Gezwitscher, wobei ich hellgrünes Gras vor mir sehe und leicht bewegte Wasserflächen im Sonnenlicht, aus tausend Silberplättchen zusammengesetzt. Dann schließe ich ab, von außen, und sicherheitshalber mache ich auch die Fensterläden zu und lege die Riegel vor.
    Ich öffne den Kofferraum des Asconas und den Karton mit dem Geld, Gott, wie lange habe ich nicht an meine alte Wohnung gedacht. Ich suche die Dollarscheine heraus, die nehmen am wenigsten Platz weg, und stopfe mir so viele davon in die Hosentaschen wie möglich, ohne vollständig entstellt auszusehen.

27 Notwehrexzess
    J acques Chirac lässt an jeder Ecke auf sich warten, ich erreiche den Renner-Ring erst um halb eins. Der Platz vor dem Parlament sieht aus wie ein abgeräumter Jahrmarkt, überall schmutzige Flugblätter, und vom Boden, von den Windschutzscheiben der Autos, aus den Blumenrabatten, aus allen Ecken starrt mich Jörg Haiders Visage an, in allen Farben, mit Hitlerschnurrbart. Einen Moment überlege ich, meinen Personalausweis dazuzuwerfen, mit dem Gesicht nach oben, aber ich verspüre kein echtes Bedürfnis danach.
    Viel zu viel Polizei. Ich mache einen Umweg durch den Volksgarten, umrunde den Justizpalast und komme von der anderen Seite auf den Schmerlingplatz. Rufus hat mal gesagt, die österreichische Politik habe nicht mehr Bedeutung als ein paar Kinder, die sich gegenseitig Sand in die Augen schmeißen. Ich verstehe heute besser als damals, was er meinte. Selbst wenn Haider persönlich in der Regierung säße, wäre alles, was er anrichten könnte, immer noch Wohlfahrt im Vergleich zu dem, was hinter den Kulissen des Olymps unablässig verbrochen wird.
    Ich postiere mich so hinter dem Justizpalast, dass ich schräg in die Bartensteingasse blicken und den Eingang zur Kanzlei im Auge behalten kann. Jeden Tag zwischen zwölf und eins verlassen die Juniors das Gebäude, einzeln oder in Grüppchen, die Männer lösen die Krawatten, die Frauen werfen sich leichte Jäckchen über und ziehen ihre langen blonden Haare darunter hervor. Alle bieten sich gegenseitig Zigaretten an. Daran wird sich nichts geändert haben. Wer diese anderthalb Stunden während der Mittagszeit nicht erübrigen kann, gilt nicht mehr als Jurist, sondern als Sklave. Das Recht ist nicht nur eine Profession, sondern auch ein Lebensstil.
    Vom Volksgarten aus läuft man eine Viertelstunde bis in die Singerstraße, meistens gingen wir den Weg zu sechst oder siebent, die Hemdkrägen offen, die Krawatten über die rechte Schulter gelegt. Wir pressten uns ins Van Veinsten am Franziskanerplatz, die edelste Imbissbude der Welt. Es gab immer einen oder zwei, die einen Sitzplatz auf der roten Lederbank ergatterten, und wer saß, konnte Carpaccio bestellen oder wenigstens einen Caprese. Ich gehörte selten dazu. Alle anderen ließen sich im Stehen vom gestikulierenden Nachbarn die Tramezzini aus der Hand schlagen und rauchten mehr, als dass sie aßen. An Tagen, an denen wir

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