Adler und Engel (German Edition)
Ruhe wollten und eine richtige Mahlzeit, gingen wir in die andere Richtung, ins Skala in der Neubaugasse, warfen uns dort in die René-Herbst-Stühle und stellten fest, wie gut es war, jetzt nicht im Van Veinsten zu sein, endlich mal keine Werber sehen zu müssen und die anderen Idioten aus der Agenturszene. Der Wirt im Skala kannte jeden von uns mit Vornamen, und er briet sowohl Garnelen als auch Schnitzel, wenn gewünscht.
Während ich warte, spiegele ich mich in einem Autofenster. Ich habe am Morgen die Haare zurückgestrichen und die Hose ausgeschüttelt. Das T-Shirt ist schwarz und einigermaßen sauber, dazu trage ich einen blickdichten Gesichtsausdruck. Das einzig Farbige an mir ist ein Päckchen Marlboro, rot aus der Hosentasche herausleuchtend, als würde ich dort mein Herz aufbewahren. Was definitiv fehlt, ist eine Sonnenbrille, und es ist Jacques Chiracs Schuld, dass ich keine Zeit mehr hatte, mir irgendwo auf der Hernalser Hauptstraße noch eine zu kaufen.
Der Erste, den ich sehe, ist Kai, ich erkenne ihn sofort und er ist allein. Das Auto, dessen Scheiben ich als Spiegel benutze, ist ein schwarzer BMW, ich setze mich auf die Motorhaube, bevor ich seinen Namen rufe. Er schaut sich um, erst suchend, dann ärgerlich, und schwenkt dabei seine Aktentasche im Kreis. Ich rufe noch einmal. Er sieht mich und erkennt mich auf den zweiten Blick, ich rühre keinen Finger und lasse ihn über die Straße auf mich zukommen. Ich schiebe beide Hände in die Hosentaschen und schließe die Fäuste um die stangendicken Geldscheinbündel.
Määx!
Er spricht meinen Namen, wie Rufus ihn immer gesprochen hat. Wir stehen uns gegenüber und ich betrachte seine dunklen Brillengläser, in denen sich die ganze Straße abspielt. Ein Reisebus entfernt sich in seinen Kopf hinein, schrumpft zusammen und verschwindet, jemand geht im Hintergrund, blauer Himmel mit Dachfirsten fährt weitwinklig gewölbt auseinander, und im Vordergrund bin ich, ebenfalls gebogen entlang der konvexen Krümmung, mit zu großer Nase.
Kai hebt den rechten Arm in die Luft, die Hand zurückgeklappt, ich lege mein Handgelenk gegen seins und wir schnipsen im gleichen Moment mit den Fingern. Er lacht, seine Zähne sind immer noch so gut wie früher.
Was machst du denn hier, fragt er.
Eine ungünstige Frage, darauf habe ich mir keine Antwort zurechtgelegt.
Mal vorbeischauen, sage ich.
Hab schon gehört, sagt Kai, du bist ausgestiegen. Mensch, Määx, das sollten wir alle machen, so lange noch Zeit ist. Was?
Ich zucke die Achseln.
Oh Mann, sagt er, wir denken doch alle übers Aussteigen nach. Die Alten sind taufrisch, besonders der Häuptling, der überlebt uns alle. Von fünfundvierzig Leuten hier wird vielleicht einer Partner innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre.
Ich bin erleichtert, er redet eine solche Scheiße, das heißt, dass er voll ist bis obenhin.
Hör mal, sage ich, gehen wir schnell ins Skala.
Nee, sagt er gedehnt, heute nicht.
Was, frage ich, keine Zeit für die Mittagspause oder was?
Ich hab ihn erwischt, jetzt schiebt er die Hände in die Taschen und ich nehme meine heraus.
Siehst gut aus, sagt er, der Bart steht dir, wie in der Gauloise-Reklame, Liberté Toujours.
Er lacht.
Was machst du denn jetzt so, fragt er.
Nichts, sage ich.
Er lacht noch lauter, das nervt, ich will meine Bestellung loswerden.
Nichts!, ruft er. Das ist gut. Soll heißen, du bist an der Börse. Ein guter Platz für Leute wie uns, das haben wir im Blut, wo bist du denn, in Frankfurt, Paris oder London.
Im Moment bin ich in Wien, sage ich zutreffend.
Aha, aha, sagt er, Osteuropaspezialisierung, das wusste ich schon, als du dich nach Leipzig hast versetzen lassen. Scheißkaff, aber wir wissen ja, in welche Richtung der Hase jetzt läuft, Wien, Leipzig und dann Warschau, du bist gar nicht so dumm, Määx, aber du warst ja oben auch schon in der Ostabteilung.
Er zeigt mit dem Daumen über die Schulter auf das obere Stockwerk des Kanzleigebäudes.
Die Erfahrungen hier sind nützlich für den Stock Ex, oder, man muss nur immer rechtzeitig wissen, wo es als Nächstes knallt. Das ist alles, was?
Er lacht immer noch, es ist ein Wunder, wie er überhaupt gleichzeitig sprechen kann. Ich finde den Punkt zum Einhaken nicht.
Wusste übrigens schon, sagt er, dass du in der Stadt bist. Rufus flucht neulich auf dem Gang rum wie eine alte Hure. Der ärgert sich, dass du die echte Kohle jetzt woanders verdienst. Hast einfach recht, Mann.
Er nickt begeistert mit dem Kopf
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