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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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dreht den Kopf zur Seite und versucht, sich den Schlafsack wieder überzuziehen. Ich nehme ihn ihr weg, es ist zu warm, um sich zuzudecken.
    Rufus war nicht in der Kanzlei, er hatte in der UNO-City zu tun. Ich fuhr mit der U-Bahn in den Zweiundzwanzigsten Bezirk und rannte eine halbe Stunde lang über die dicken Teppichböden auf den Korridoren von Block B, holte mir an jeder Türklinke einen schmerzhaften elektrischen Schlag und erhoffte davon eine heilende Wirkung auf mein Nervensystem. Endlich traf ich Sachiko, die ihr großflächiges Gesicht wie eine Scheibe über dem Chanelkostüm in der Schwebe hielt und aussah, als wüsste sie längst über alles Bescheid. Sie schob sich kleinschrittig vor mir her bis zum Sitzungssaal irgendeines Ausschusses. Rufus kam heraus, nahm meine Rechte wie immer in seine, schüttelte sie und hielt sie fest. Heute legte er mir zusätzlich noch einen Arm um die Schultern und drückte mich für einen Moment an sich.
    Mäx, sagte er, Sie schenken uns jüngstens nicht mehr viel von Ihrer Zeit. Sie riskieren Ihren Verstand. Ihren Job. Ihr Leben.
    Er schlug mir auf den Rücken, als hätte ich Anlass zu einem guten Witz gegeben und dafür ein Lob verdient.
    Kommen Sie, sagte er, hier entlang.
    Ich hatte erwartet, er würde mich in die Cafeteria führen, aber stattdessen verließen wir das Gebäude, und ich konnte einen Blick über die Donau werfen, auf der große Mengen ausgefallener Blätter trieben. Es kamen immer neue Blätter nach, während wir den Parkplatz überquerten, ich fragte mich, ob stromaufwärts jemand stand und sie in den Fluss warf. Wir betraten das nächste halbschalenförmige Hochhaus und fuhren mit einem der vierundzwanzig Fahrstühle ins Souterrain, wo am Ende des Hauptflurs, zwischen den Telephonzellen und einer Fluchttür mit angeheftetem Evakuierungsplan, ein winziges Zimmer lag. Das war die Schallschutzkabine, ein komplett abhörsicherer Raum. Plötzlich saßen wir uns an dem kleinen Kunststofftisch gegenüber und ich kam mir vor wie im Besuchsraum eines Gefängnisses, es fehlte nur noch die Panzerglasscheibe mit den siebartigen Löchern zwischen Rufus und mir. Er kam gleich zur Sache.
    Wir beide wissen, sagte er, dass man solche Vorkommnisse gemeinhin einen Unfall heißt.
    Es war kein Unfall, sagte ich schnell.
    Mäx, sagte er, Sie haben lange genug alle Rechtsgebiete studiert, um selbst durchprüfen zu können, wie ein Sachverhalt einzuordnen ist. Bei mir ist das alles schon länger her. Nennt man so etwas nicht Putativnotwehr, in der Strafrechtslehre? Oder einen Notwehrexzess?
    Putativnotwehr ist, sage ich müde, wenn man sich einen Angriff nur einbildet und sich gegen einen Unschuldigen verteidigt. Notwehrexzess, wenn man dabei auch noch übertreibt.

28 Shershah ist tot
    T atsächlich hatte ich sofort den Wunsch verspürt, diesen Fall juristisch zu prüfen, am liebsten noch gleich vor Ort in Jessies Wohnung in der Praterstraße, nur dass wir verschwinden mussten, und zwar so schnell wie möglich.
    Jessie hatte in der Küche gekniet, eines der Beine unseres Tisches umarmt und immer wieder »tschüs, tschüs« zu ihm gesagt. Ich wickelte sie in eine Decke wie die Überlebende einer Schiffskatastrophe und rannte mit ihr auf den Armen die vier Stockwerke hinunter. Als wir unten angekommen waren, hatte ich immer noch keinen Plan, wohin ich als Nächstes rennen sollte. Keuchend stand ich im Hauseingang der Praterstraße 61, und sinnlose Gedanken drehten sich in meinem Kopf, wie gut es in diesem Moment war, dass Jessie nicht mehr als vierzig Kilo wog, dass mich eigentlich nie jemand mit ihr zusammen gesehen hatte, dass ich Jessie wahrscheinlich wirklich liebte, dass ich ein Versager war und im Moment nicht einmal wusste, warum. Während ich hinter dem bunten Jugendstilfenster der Haustür stand, hörte ich draußen die Sirenen eines Krankenwagens, vielleicht auch Polizei. Die waren doch sonst nicht so schnell. Ich trug Jessie durch die Hintertür auf die Afrikanergasse und über die Straße durch die Hofeinfahrt in das gegenüberliegende Gebäude hinein. Ich rutschte fast auf der am Boden liegenden Werbepost aus und stolperte über das abgestellte Kinderfahrrad. Ich hatte mich nie für die Höfe in diesem Viertel interessiert, ich kletterte auf gut Glück auf die Mülltonnen und dann auf die Mauer, Jessie in ihrer Decke wie einen Sack über die Schulter gelegt, sprang in den nächsten Hof und kletterte auf weitere Mülltonnen und über eine weitere Mauer. Als ich nicht

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