Adler und Engel (German Edition)
Zentrale.
Ich nicke. Er überquert mit ein paar Schritten den Hof und macht sich daran, die Tür zum Atelier aufzuschließen.
Mann, hier stinkt’s vielleicht, sagt er. Und fünf Mal heißer als auf der Straße ist es auch.
Was ist denn da drin?, frage ich.
Ich zeige auf den Schuppen, der mit seinen verschlossenen Fensterläden aussieht, als hätte ihn seit Jahren niemand mehr betreten, und ich bin plötzlich sicher, dass Clara tatsächlich nicht mehr im Innern liegt. Ich hatte immer den Verdacht, dass die Wirklichkeit aus verschiedenen Schichten besteht, zwischen denen ich gelegentlich hin und her wechsele. Das sind die Momente, in denen ich überhaupt nichts mehr kapiere.
Keine Ahnung, sagt er, das ist hier alles vor meiner Zeit.
Durch die Fenster des Ateliers sehe ich, wie er einen großen Stoffüberwurf wegzieht, darunter kommt ein moderner Kühlschrank zum Vorschein.
Und, frage ich draußen auf der Straße, wie geht’s Herbert und Ross?
Irgendetwas entspannt sich in seinem Gesicht.
Die Spedition, sage ich, arbeitet wohl gar nicht mehr über Süditalien?
Doch, sagt er, in den letzten sechs Monaten schon, aber jetzt ist endgültig Schluss.
Ich schwenke die Tüte mit zwanzig Deka Pulver am Handgelenk, mehr war nicht mehr da. Das ist genug, um einen Dinosaurier umzubringen. Zum Geldzählen setze ich mich in den Wagen und stelle mir dabei vor, wie die Riesenechse durch einen turmhohen Schachtelhalm kokst, jetzt schnappe ich wirklich über, ich fange an zu lachen. Der Kleine schaut mir angewidert zu, wie ich Hundertdollarnoten bündele. Eine gebe ich als Trinkgeld, das lehnt er nicht ab. Er schließt die Knöpfe seiner Anzugjacke und steigt in den Sovereign.
Wo soll ich Sie absetzen, fragt er.
Ich lasse mich von ihm bis zur Hadikgasse fahren, obwohl diese Komödie völlig überflüssig ist, und laufe sofort zurück.
Als ich die Tür zum Schuppen öffne, bin ich halb darauf gefasst, Clara nicht vorzufinden, aber sie ist da, und die Luft ist bereits spürbar dünner geworden. Ich hole Wasser, um sie zu begießen, meine kleine Pflanze, nehme ihr den kalten, angeschmorten Zigarettenfilter aus den Fingern und helfe ihr beim Trinken. Als ich eine Messerspitze Kokain vor ihr Gesicht hebe, macht sie von selbst den Mund auf, damit ich es hineinwerfen kann. Dann drehe ich sie um, es ist nicht gut für die Haut, immer auf der gleichen Seite zu liegen.
Max, flüstert sie, wie viel Uhr ist es.
Eine seltsame Frage, aber ich freue mich wie ein Kind, dass sie etwas spricht. Eine Weile betrachte ich sie gerührt und denke darüber nach, sie in den Ascona zu heben und mit ihr von hier zu verschwinden, ganz egal wohin, einfach nur weg, vielleicht sogar zurück nach Leipzig, weil sie ja eigentlich nichts dafür kann. Offenbar bin ich im Moment unserer Ankunft in Wien mit ihr zusammengeschlossen worden, als wäre sie meine persönliche Batterie, und je stärker ich mich fühle, desto schwächer wird sie, und so wie sie jetzt aussieht, werde ich sie in ein paar Stunden verbraucht haben.
Mein Herz, sage ich, ein paar Stunden noch, mehr nicht. Sie kommen. Endlich.
Der Hund trabt heran und trinkt den Rest Wasser aus dem Eimer. Er sieht eigentlich auch besser aus, wenn er nur nicht so mager wäre wie ein afrikanischer Ochse. Er legt sich neben Clara und auch ich lasse mich neben ihr nieder und jetzt sind wir beisammen wie eine kleine Familie und diese steinerne Stadt ist unser offener Kamin und die heiße Sommerluft das Feuer darin. Ich werde was erzählen.
Als ich den DAT-Recorder suche, finde ich die alten Bänder nicht mehr. Ich werfe unsere Kleidungsstücke von einer Ecke des Raums in die andere, aus einer meiner Unterhosen fällt ein Teelöffel voll Mäusekot. Der Staub, den ich vom Boden hochreiße, bleibt glitzernd in der Luft stehen, legt sich über meine Lunge und macht sie rauh wie Schmirgelpapier, ich schmecke den Geruch der Mäuse auf der Zunge.
Erinnerst du dich, sage ich leise, wie du dich damals gefreut hast, dass Shershah tot ist. Du wolltest wissen, wie es passiert ist.
Unter ihren geschlossenen Lidern tritt etwas Feuchtigkeit hervor, vielleicht weint sie, ich wundere mich, wie sie in ihrem ausgetrockneten Körper genug Flüssigkeit zusammensammeln kann, um auch nur eine halbe Träne zu erzeugen. Ich öffne vorsichtig ihren Mund und gieße den Rest Wasser hinein, um zu sehen, ob dann noch mehr Tränen kommen.
Ich selbst suchte Rufus auf, sage ich. Ich wollte nicht warten, bis er mich holen ließ.
Sie
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