Adler und Engel (German Edition)
jedenfalls die Schuld entfallen.
Ich schrieb fünf DIN A4 Seiten voll. Ich sprach M frei.
Fahrlässigkeit wahrscheinlich, sagte ich zu Rufus, wenn nicht, dann PutativnotHILFE. Weil das Leben einer dritten Person verteidigt werden sollte. Jessies Leben.
Auf die Theorie wird es ohnehin nicht ankommen, sagte Rufus. Es ist so gut wie sicher, dass es ein gewöhnlicher Verkehrsunfall war. Und schließlich – das Gewehr gehörte Jessie, nicht wahr?
Bevor ich etwas antworten konnte, wiederholte er den Satz und sah mir dabei in die Augen.
JESSIE gehörte das Gewehr, oder nicht?
Ganz langsam, unmerklich, senkte ich den Kopf, es hätte ein Nicken sein können, vielleicht auch etwas anderes.
Wenige Stunden später hatte ich es in der Morgenzeitung unter »Vermischtes« gelesen, die waren wirklich so was von schnell. Mann überfahren am Praterstern, bisher unidentifiziert, Unfallhergang unklar, Alkohol nicht im Spiel. Ein undeutliches Photo war dabei, das Gesicht des Toten nicht zu erkennen. Ich weckte Jessie, die inzwischen seelenruhig schlief in meinem Bett.
Er ist wirklich tot, sagte ich.
Natürlich, nuschelte sie, du hast ihn doch erschossen.
Ich habe nicht geschossen, sagte ich.
Vielleicht hast du es selbst nicht gemerkt, sagte sie, du warst zu aufgeregt.
Quatsch, sagte ich, ich hatte den Mündungsfeuerdämpfer nicht drauf, das hätte eine ellenlange Flamme gegeben, nicht zu übersehen.
Ohne Feuerdämpfer zu schießen, sagte sie entrüstet, du bist ja ein Anfänger, wer macht denn so was.
Sie schlief schon fast wieder, und sie schlief wie tot, als ich es in der Wohnung nicht mehr aushielt, im Büro anrief, erfuhr, dass Rufus in der UNO-City war und mich auf den Weg machte, um mit ihm zu sprechen, bevor er mich holen ließ.
Im Gegensatz zu mir hatte Rufus seine Informationen bestimmt nicht aus der Zeitung.
Getötet wurde ein Drogenkurier, sagte er, ein Mann, der seit über zehn Jahren sein Geld nur durch kriminelle Geschäfte erwarb.
Rufus, sagte ich, ich kenne Herbert, und ich bin recht sicher, dass Sie ihn auch kennen, und der Tote war einer von seinen Männern. Herbert wird sich dafür interessieren und die Polizei wird sich auch dafür interessieren. Ich bin gekommen, um zu kündigen.
Ganz langsam, sagte Rufus.
Aber ich bin Jurist, rief ich. Ein Mann ist tot!
Langsam.
Rufus war kalt wie ein Eisblock. In seiner Gegenwart hatte ich nie zuvor geschrien, ich hatte nie etwas anderes getan, als mich freundlich und beherrscht zu verhalten, zu lächeln, ihm meine Bewunderung und Dankbarkeit auszudrücken. Auch jetzt wollte ich ihm eigentlich nicht widersprechen, es war nur so, dass ich etwas sagen musste, schreien musste, einmal wenigstens, jemand musste es hören. Es hätte mir sonst den Kopf gesprengt.
Shershah ist tot, brüllte ich.
Dann sank ich auf dem kleinen Plastiktisch zusammen und schützte den Kopf mit den Armen. Ich wartete auf einen LKW. Er kam nicht.
Jetzt ist es aber gut, sagte Rufus. Kommen Sie zu sich.
Ich dachte darüber nach, die Balkangeschichte auszupacken, ihm alles ins Gesicht zu sagen, was ich von Jessie gehört hatte, und abzuwarten, wie er reagierte. Aber ich wusste bereits, wie er reagieren würde. Er würde den Kopf schütteln in namenlosem Erstaunen und sagen, aber Mäx, Sie arbeiten doch in diesem Bereich, Sie sind der Letzte, der behaupten kann, nichts von den Vorgängen da unten zu wissen. Deshalb kämpfen wir doch, gemeinsam.
Es war sinnlos, absolut sinnlos. Als ich mich wieder aufrichtete, war ich gefasst.
Gut so, sagte Rufus, jetzt erkläre ich Ihnen mal was.
Er griff in sein Jackett und zog zwei Zigarren heraus, sie waren aus Havanna. In der Schallschutzkabine durfte nicht geraucht werden, es war zu wenig Luft vorhanden. Ich nahm den ersten Zug, ich inhalierte. Ich lehnte mich zurück, die Zigarre in der Faust.
Wir machen hier Völkerrecht, sagte Rufus, und Sie, Mäx, sind ein Teil von uns. Sie wissen, wer Ihnen den Job verschafft hat. Sie sollten ihm dankbar sein.
Er machte eine Pause und blies Rauchkringel über den Tisch. Ich wusste nicht, dass mir jemand den Job verschafft hatte, und als es mir dämmerte, wollte ich es nicht mehr wissen.
Sie denken schlecht darüber, sagte Rufus, Sie haben sich in Sachen verwickelt, die Sie nicht verstehen. Herbert ist seit zwanzig Jahren mein Freund. Sein Handelsgeschäft ist nicht der Punkt. Herbert kennt ein paar Leute, und er weiß, wie man mit ihnen umgeht.
Ein Stück Asche fiel von seiner Zigarrenspitze, er fing es in
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