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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Wegerodiert. So dass der Sack jetzt wieder zu sehen ist.
    Ich lasse acht brennende Dochte fallen, und der letzte endlich kommt brennend unten an und bleibt dort liegen. Ich kann sogar die Asche der anderen sieben Fackeln sehen. Und noch mehr sehe ich. Gegen den Müllsack presst sich von innen etwas Helles, das Plastik spannt sich darüber, zum Platzen, als wäre im Innern etwas luftdicht eingeschlossen, das sich über die Zeit aufgebläht hat, angeschwollen ist, aufgepumpt wurde. Und eigentlich sieht es aus wie ein menschliches Gesicht, wie ein großer, kahlgeschorener Kopf. Es beginnt nach schmelzendem Plastik zu riechen. Früher war ich selbst so aufgeschwemmt, wenn auch aus anderen Gründen. Das, was möglicherweise dort unten liegt, war immer schlank genug, um mit den Fingern Halt zu finden in den Kanten und Rillen des eigenen Skeletts, wenn es die Arme verschränkte oder um den Körper schlang. Jetzt bin ich dünn und das da unten ist ein dicker weißer Wal, selbst wenn es sich um eine optische Täuschung oder Gartenabfälle handeln sollte, ein Wal, und es geschieht ihm recht. Die Flamme verlischt, und der Schacht ist wieder so schwarz, als wäre es vollkommen unmöglich, ihn jemals mit irgendetwas zu erhellen. Ich zünde den neunten Docht nicht an, ich werfe ihn, wie er ist, weiß und unversehrt, in den Brunnen hinunter, ins Dunkle. Ich glaube, ich sehe ihn da unten als hellen Fleck, aber ganz schwach. Kaum wahrzunehmen.
    Beim Aufstehen stolpere ich über die Schaufel, es ist ein Reflex, dass ich sie aufhebe, und als ich sie in der Hand halte, liegt es nahe, sie in die Erde zu stoßen. Auf dem vertrockneten Rasen gelingt es nicht, aber im Gebüsch, nah an der Brunnenmauer müsste die Erde etwas weicher sein. Nach ein paar Versuchen hole ich eine Spitzhacke aus dem Vorderhaus und bearbeite den Boden auf einer Fläche von zwei Quadratmetern. Es tut gut, das schwere Gerät durch die Luft zu schwingen. Das Geräusch der Schläge kommt scharf und mit winziger Verspätung von der Wand des Nachbarhauses zurück. Als ich genug habe, setze ich einen Fuß auf den Rand des Spatens und stoße ihn in die brockig gehackte Erde. Jessie hätte das gewollt. Wir werden drei Kinder haben. Falls eins vom Brunnenrand in den Krater hineinfällt, bleiben noch zwei.
    Erst vierzig Zentimeter unter der Erdoberfläche wird der Boden tatsächlich feuchter. Auf der nächsten Schaufel windet sich ein rosafarbenes Stück Regenwurm, dreht sich um sich selbst und sucht nach seiner abgeteilten zweiten Hälfte. Als Kind traf ich manchmal an den Wochenenden zu Hause auf meine Mutter, und wir gingen nach draußen, um ein bisschen Gartenarbeit zu simulieren, für die Nachbarn und auch, damit es für sie und mich nach Familienleben aussah. Dabei lernte ich, dass Regenwürmer, wenn man sie durchtrennt, in zwei Teilen weiterleben, halb so groß wie vorher, frisch gebackene Zwillingsbrüder, und ich wollte immer wissen, wie viele Regenwürmer man maximal aus einem machen konnte, aber ich gehörte nicht zu den Jungen, die Fliegen die Flügel ausrissen und Frösche mit dem Strohhalm aufbliesen und zum Platzen brachten, also probierte ich es nicht aus. Ich war sicher, dass es mit mir selbst genauso funktionieren würde, dass ich mich in mehrere Maxe aufspalten und weiterleben konnte, wahrscheinlich glücklicher als vorher, nicht mehr so allein.
    Die Schaufel voll Erde prasselt in den Brunnen hinunter. Ich finde die zweite Hälfte des Regenwurms in der kleinen Grube, die mein Spaten hinterlassen hat, und werfe sie der ersten nach. Damit sie glücklich weiterleben. Nicht so allein.
    Mein Körper ist ein Konglomerat aus Schmerzen, die sich wie Töne zu einem vielstimmigen Akkord mischen, eine Ganzheit bilden, nämlich mich, gar nicht so unharmonisch. Mein Hirn schwappt von Ohr zu Ohr wie Milch im Inneren einer frischen Kokosnuss. Die Grube wäre groß genug, um einen Menschen darin zu beerdigen, aber der Brunnen ist noch lange nicht voll. Ich mache eine Pause und gehe gucken, ob Clara noch da ist.
    Eine Weile sitze ich neben ihr, ganz still, eine Zigarette in den entzündeten Mundwinkel gehängt. Clara ist so schön, dass ich sie permanent nur anschauen könnte, ich werde üben, mit dem rechten und dem linken Auge abwechselnd zu zwinkern, um nichts von ihr zu verpassen. Ich schiebe den Hund zur Seite, der sie bewacht, und lege mich für einen Moment neben sie, füge unsere Körper wie die Teile eines Klapprads ineinander, entspanne mich und genieße die

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