Adler und Engel (German Edition)
hier noch eine kleine Suchmeldung.
Ich drehe mich um.
Hat nichts mit euch zu tun, sagt sie, ganz privat. Falls es da draußen jemanden gibt, der Shershah heißt, soll er sich mal melden. So häufig ist der Name ja nicht.
Die spinnt, sage ich, selig sind die geistig Armen.
Was sagen Sie?, ruft der Fahrer.
Sie kann sich denken, dass ich ihr zuhöre, von irgendwoher. Aber wahrscheinlich meint sie gar nicht mich, sondern tatsächlich Shershah. Das Ganze hat mit mir nicht wirklich etwas zu tun. Ihrer Ansicht nach habe anscheinend ich selbst mit mir nicht viel zu tun. Es geht um etwas anderes. Jetzt kommt wieder Musik. Es ist phänomenal.
Hören Sie, Mann, sage ich, Sie haben doch ein Telephon, oder.
Er hört auf, im Takt der Musik mit dem Kopf zu wippen.
Schon, sagt er.
Auf der Straße fährt ein Auto vorbei, der Typ am Steuer lässt den Arm aus dem Fenster hängen. Ich erkenne am Rhythmus, den seine Finger auf die Autotür klopfen, dass auch er Claras Sendung hört.
Wieviel, frage ich.
Ich schiebe ihm einen weiteren Zwanziger hin, und er reicht mir ein flaches Telephon, das an einem dicken Spiralkabel befestigt ist. Ich tippe die Nummer der Sendung. Die Musik bricht mitten im Takt ab.
Genug, sagt Clara, für Musik ist es ohnehin zu heiß, hier drin jedenfalls. Reden wir lieber noch ein bisschen über unsere Probleme. Zum Beispiel darüber, dass ich den Sommer hasse. Ich mag den Herbst, am liebsten mit Sturm, wenn es die Blätter auf einen Schlag von den Bäumen haut, als würde sich Mutter Natur eine grüne Schönheitsmaske vom Gesicht ziehen. – Die Technik gibt mir Zeichen, ich soll telephonieren und nicht quatschen. Die Technik wird entlassen, wenn sie sich einmischt.
Gute Idee, sage ich, mach ihn fertig, den Wiener-Arsch.
Ich versuche, tief Luft zu holen, aber die Atemzüge bleiben immer wieder stecken vor der letzten Schwelle; die letzte Ecke ganz unten in meiner Lunge, deren Durchlüftung mir Erleichterung bringen würde, lässt sich nicht füllen. Ich gebe auf und atme flach. Mit dem Telephon entferne ich mich so weit wie möglich vom Taxi. Der Fahrer fixiert mich, das stört.
Hier ist Shershah, sage ich, die Frau hat in ihrer Sendung nach mir gefragt.
Okay, ich stelle Sie durch, legen Sie nicht auf.
Das Gedudel der Warteschleife erinnert mich an die Minisynthesizer der Zigeunerkinder, die immer vor Karstadt sitzen. Sie bewegen sinnlos die Finger über den Tastaturen und tun so, als würden sie die Melodie selbst erzeugen.
Auch eine?
Der Taxifahrer streckt mir seine Zigarettenschachtel durch die offene Beifahrertür. Ich habe völlig vergessen zu rauchen. Als die Kippe brennt, sieht manches anders aus. Endlich gelingt der tiefe Atemzug, und weil ich dabei eine Ladung Rauch bis in den letzten Lungenzipfel transportiere, nadelt es mit tausend Stichen in die weichen, wahrscheinlich noch rosafarbenen und nicht mit Teer abgedichteten Innenwände.
Dann ist Clara dran.
Hey, sagt sie, wer spricht.
Ich, sage ich.
Im gleichen Moment schneidet mir das hohe Pfeifen einer Rückkoppelung ins rechte Trommelfell, ich schreie hysterisch auf. Sofort bin ich wieder ruhig. Überreagiert.
Schalt dein Radio aus, Mann!, ruft sie.
Schalt ’s Radio aus, Mann, rufe ich dem Taxifahrer zu.
Also wer, sagt sie.
Ich, sage ich.
Es ist klar, dass sie mich erkannt hat.
Lieber Ich, sagt sie, die Technik behauptet, du seiest Shershah.
Shershah, sage ich, ist tot.
Was, der auch?, flüstert sie.
Dann fängt sie sich.
Wer war er?
Ein Freund, sage ich, oder ein Feind.
Sehr mysteriös, mein lieber Ich, sagt sie.
Es ist nett, wie sie das mit der Ironie versucht. Ich selbst habe es nicht mehr nötig, witzig zu sein, das macht frei. Rufus sagte immer, das Spannende ist nicht, wer gewinnt, sondern wie hoch der Gegner verliert. Was mir jetzt noch fehlt, sind die Knöpfe meiner ISDN-Anlage, die ich beim Sprechen auf immer neue Art mit dem Finger umkreisen konnte, als wäre ich Pac-Man im Labyrinth, auf der Suche nach dicken roten Kirschen.
Vielleicht würde es dich erleichtern, ein bisschen von Shershah zu erzählen?, sagt Clara schließlich.
Nö, sage ich.
Ich helfe dir, sagt sie. Er ist gestorben und hat eine offene Rechnung hinterlassen?
Nö, sage ich, ich habe ihn selbst umgebracht.
Jetzt ist richtig Schweigen. Noch ein paar Sekunden und jemand von der Redaktion wird sich einschalten.
Ich muss jetzt Schluss machen, sage ich, die drei Minuten Gesprächszeit sind überschritten.
Warte!, ruft
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