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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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ich ein paar Worte mit Ricarda wechselte, rollte vor mir her in irgendein leerstehendes Büro und legte mir dort einen Stapel Ausschussprotokolle vor. Innerhalb eines Nachmittags durfte ich den Entwurf für eine komplette Resolution schreiben, der hinterher irgendeiner Arbeitsgruppe als angebliches Resultat der vorangegangenen Verhandlungen untergeschoben werden sollte. Ich gab mir Mühe damit, und wenn Sachiko zufrieden war, holte ich mir zur Belohnung in der UNO-Kantine ein paar von den Plastikpäckchen mit Sojasauce aus der Sushi-Abteilung und nahm sie mit zu McDonalds, wo ich eine Portion French Fries Super Size darin ertränkte und sie auf dem Rückweg in der U-Bahn verschlang. Damals hatte ich gedacht, Sachiko sei der Gipfel der Unannehmlichkeiten, die ich im Leben zu bewältigen hatte. Ein schwerwiegender Irrtum.
    Ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war, fand ich mich im Büro der Anwältin wieder, mit einer Tasse in der Hand.
    Max der Maximale, sagte die Anwältin.
    Hören Sie schon auf.
    Wie zum Teufel, fragte sie, bekommt einer wie Sie eigentlich einen Job wie diesen?
    Ich habe den Aufnahmetest bei Rufus bestanden, sagte ich.
    Und wie ging der?
    Rufus, sagte ich, führte ein persönliches Gespräch mit mir. Zum Schluss wollte er wissen, warum die deutsche Politik in vielen Fragen den Interessen Ghanas nahe steht, während es die Österreicher eher mit den Australiern halten.
    Sie kam ins Nachdenken, ich sah förmlich einen kurzen Abriss der deutschen Kolonialgeschichte hinter ihrer Stirn vorbeilaufen.
    Und?, fragte sie schließlich.
    Das liegt an der alphabetischen Sitzordnung in Versammlungen und Arbeitsgruppen der internationalen Organisationen, sagte ich. Germany sitzt immer neben Ghana und Austria neben Australia, so dass die Delegierten sich persönlich kennen. Sie leihen sich gegenseitig Stifte aus und bringen einander Kaffee.
    Das war die richtige Antwort?
    Nicht nur das, sagte ich, es ist die Wahrheit. Rufus drückte meinen Arm.
    Ihr seid exzentrisch in Wien, sagte sie, Völkerrechtler sind keine richtigen Juristen.
    Absolut korrekt, sagte ich, und Völkerrecht ist kein richtiges Recht. Mehr eine Religion.
    Es wird schwierig werden zu entscheiden, sagte sie, ob Sie ein Genie sind oder ein Idiot.
    Scheiße, sagte ich.
    Ach kommen Sie, Max, sagte sie, hier lässt es sich auch aushalten. Man schafft sich Freiräume für die wirklich interessanten Fälle.
    Was zur Hölle, fragte ich, gibt es hier für interessante Fälle??
    Immerhin, sagte sie bedächtig, haben wir mit echten Menschen zu tun.
    Ich stöhnte leise und dachte noch einmal daran, wie wir in Wien, junge Olympier, Regeln entworfen hatten für das Menschengeschlecht auf der ganzen Welt. Wie hoch über den Dingen ich mich gefühlt hatte, bevor ich zu zweifeln anfing. Ich beschloss, nie wieder daran zurückzudenken. Auch nicht an Rufus. Und dein nicht zu achten, dachte ich. Wie ich.
    Hören Sie, sagte ich, ich bin nach Leipzig versetzt worden, weil ich aus privaten Gründen unkündbar bin. Ich bin hier auf dem Abstellgleis, nicht um zu arbeiten.
    Sie lächelte zum ersten Mal.
    Sie irren sich, sagte sie.
    Ich ging früh nach Hause. Auf der Straße fiel mir auf, dass ich das Windrad nicht mehr hatte. Jessie fragte nicht danach. Monate später fand ich es wieder, bei meinem ersten Besuch in Marias Wohnung. Es steckte zwischen dunkelblau gefärbten Trockenblumen in einer Vase.
    In den folgenden Wochen trat ich mehrmals vor Gericht auf und fühlte mich in der schwarzen Robe wie ein Transvestit mit Hang zum Priestertum. Ich lernte, das von Maria geführte Buch mit den Antragsfristen richtig zu lesen. Ich versuchte, mich zu arrangieren, ich arbeitete mich durch Akten mit schlampig kopierten Verträgen und Korrespondenz zwischen den Streitparteien, hasserfüllt und voller Rechtschreibfehler. Ich kokste wie ein Wilder. In den freien Minuten besuchte ich im Internet die Webseiten der internationalen Organisationen. Obwohl es kindisch war, kam ich mir vor wie einer, der nicht mehr mitmachen durfte.
    Bis eines Tages Stickler den Kopf zur Tür hereinsteckte. Ich hatte herausgefunden, dass er zu den Menschen gehörte, die »Flieger« anstelle von »Flugzeug« sagen, und ich war immer froh, wenn ich ihn nicht sehen musste.
    Max, sagte er, es ist soweit. In zehn Minuten kommt der Innenminister von Sachsen wegen Fragen der regionalen Zusammenarbeit mit Polen und Tschechien im Rahmen der EU-Osterweiterung.
    Was genau, fragte ich, ist soweit?
    Sie kriegen

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