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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Speicherfunktion.
    Sechstens, sagte sie, das Vorbringen der Gegenpartei zu Punkt römisch zwei, arabisch erstens wird bestritten.
    Mit einem lauten Knacken hielt sie das Gerät an und stand auf.
    Maaaann, nörgelte eine Stimme im Nebenzimmer. Funktioniert der Scheiß auch mal oder was.
    Max, sagte sie, ich freue mich.
    Wir begannen den Rundgang durch die Kanzleiräume, und obwohl ich zum Frühstück ausreichend gekokst hatte und richtig online war, kam mir alles falsch vor, geradezu obszön. Die Einrichtung war teuer, aber geschmacklos. Die Regale enthielten die Akten unzähliger Privatrechtsfälle und kein einziges Dokument einer Internationalen Organisation. Maria Huygstetten war eine von zwei Sekretärinnen und sogar das Klingeln der Telephone hörte sich nach Ortsgesprächen an. Ich sah alles klar und deutlich wie durch eine Taucherbrille unter Wasser, ich war der neue Zierfisch im Karpfenbecken. Die kurzhaarige Anwältin schwamm vor mir her aus der Bibliothek in den Flur und zur nächsten Tür hinein, das Windrad hinter ihr, dann ich. Plötzlich hatte ich die achtundsechzigbändige Ausgabe des Staudinger Zivilrechtskommentars im Nacken, viele Lücken klafften darin, und ich fühlte mich unbehaglich, als könnte das Regal jeden Moment damit nach mir schnappen wie ein großer Raubfisch. Ich hatte seit meinem Examen keinen Kommentar zum deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch mehr in der Hand gehabt. Meine bisherige Arbeit für Rufus war nicht deutsch gewesen und schon gar nicht bürgerlich.
    Ihr aus Wien seid schon schräge Typen, sagte die Anwältin. Erhöht das Chaos für euch die Zufallstrefferquote?
    Sie warf mir einen spöttischen Blick zu. Vermutlich kam sie sich wahnsinnig schlau vor. Wahrscheinlich war sie auch wahnsinnig schlau. Vielleicht sah ich auch einfach nur dämlich aus, ein Zierfisch mit Taucherbrille und Windrad.
    Nehmen Sie doch mal die Hände aus dem Gesicht, sagte sie, was machen Sie da überhaupt.
    Ich riss mich zusammen. Mir fiel auf, dass ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, was sie hier eigentlich von mir wollten. Ein Mann trat ein, der mit Polohemd und Leinenhose eher wie ein Golfprofi aussah und nicht wie ein Mann, der für Rufus arbeitete.
    Das ist Doktor Thomas Stickler, sagte sie.
    Hallo Max, sagte er, wir haben Sie sehnsüchtig erwartet.
    Hallo Stickler, sagte ich.
    Irgendetwas brachte mich dazu, ihn weder mit seinem Vornamen noch mit seinem Titel anzusprechen, sondern nichts als »Stickler« zu ihm zu sagen. Es missfiel ihm offensichtlich. Ich wusste, dass ich trotzdem für immer daran festhalten würde, ich spürte einen inneren Zwang. Während ich darüber nachdachte, redete er ununterbrochen.
    Und übermorgen, sagte er, haben Sie bereits ihre Gerichtszulassung für Leipzig und Dresden.
    Was will ich damit, fragte ich.
    Das hier, lieber Max, sagte er, ist eine Anwaltskanzlei. Anwälte gehen vor Gericht.
    Stickler, sagte ich, ich bin Balkanspezialist.
    Gewesen, sagte er.
    Die füllige Referendarin mit Almmädchengesicht zog mit ihrem Aktenstapel aus dem kargen Fünfzehn-Quadratmeter-Zimmer in die Bibliothek um und damit hatte ich mein neues Büro. Ich dachte an Ricarda, die kaffeefarbene Referendarin in der UNO-City in Wien, sie hatte 3000 US-Dollar netto im Monat bekommen und ging in der Mittagspause auf der Donauinsel joggen. Sie war Sachiko Girard-Yamamoto als Consultant persönlich zugeteilt. Sachiko leitete das Legal Department, verdiente das Fünffache von Ricarda und trug einen Rock, der die Füße bedeckte und unter dem sie so kleine Schritte machte, dass es aussah, als fahre sie auf Rollen durch die endlosen Korridore. Man brauchte sie nur anzusehen und glaubte schon, gerade einen schwerwiegenden Fehler begangen zu haben. Obwohl ich genauso wenig wie Rufus oder irgendein anderer von uns zum Haus gehörte, hatte Sachiko meistens einen Auftrag für mich.
    Lieber Max, pflegte sie zu sagen, haben Sie einen Moment Zeit für den Weltfrieden?
    Als ich gerade anfing, zu einem der wenigen Mitarbeiter zu werden, denen Rufus sein Vertrauen schenkte, denen er in kurzen, beiläufigen Gesprächen auf dem Flur oder im Flugzeug etwas über das Wesen der höchsten Politik vermittelte, erklärte er mir einmal, dass diese japanische Lady eine der besten Freundinnen des kleinen Unternehmens sei, das uns alle so zuverlässig ernährte. Das bedeutete: Was Sachiko sagte, wurde gemacht. Immer und überall.
    Ich fuhr ungern zur UNO-City raus. Sachiko erwischte mich spätestens, während

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