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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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tutend zu einer Atlantiküberquerung anzusetzen. Seufzend ging er zum Schreibtisch und notierte etwas in sein Buch.
    Dann macht ihr das eben zusammen, sagte er.
    Ross trat neben ihn, und sie sprachen schnell und so leise miteinander, dass ich nichts verstand.
    Willkommen also, sagte Herbert schließlich. Jessie, hast du noch was übrig?
    Alles verkauft, sagte sie stolz.
    Du bist super, sagte er.
    Er zog einen Frischhaltebeutel aus der Schublade, oben mit einem roten Haushaltsgummi verschlossen.
    Ach Quatsch, sagte Shershah.
    Heilige Scheiße, sagte ich.
    C17 H21 NO4, sagte Herbert.
    Ich hatte noch nie zuvor »Heilige Scheiße« gesagt. Ich hatte auch noch nie gekokst. Im Beutel waren bestimmt zweihundert Gramm. Mehrmals löste ich mit schnalzendem Geräusch die Zunge vom Gaumen. Herbert schaufelte mit einem winzigen Löffel zwei Häufchen Pulver auf eine kleine Glasscheibe und legte ein goldfarbenes Röhrchen daneben. Er winkte uns heran, ich ließ Shershah vortreten. Als er fertig war und ich mich vorbeugte, sah ich mein eigenes Gesicht in der Scheibe, quer darüber verlief die weiße Linie, mein Spiegelbild durchstreichend. Ich hielt ein Nasenloch zu und saugte so heftig, dass alles auf einmal verschwand und mein linkes Auge zu tränen begann.
    Als ich wieder auf der Fensterbank saß, fuhr ich mit dem Finger ins Nasenloch, bohrte alles heraus, was sich dort festgesetzt haben konnte, und schob es in den Mund. Es schmeckte salzig nach Rotz und gleichzeitig bitter, chemisch steril und einzigartig köstlich, mir wurden sogleich Zunge und Lippen taub und meine Nase fühlte sich von innen wie eine Eiskammer an.
    Was IST mit ihr?, fragte ich.
    Ich zeigte auf Jessie, die wieder am Boden hockte wie zuvor. Herbert verstand mich falsch.
    Sie nicht, sagte er.
    Okay, sagte ich.
    Ich brauche keine Drogen, sagte Jessie, ich bin krank im Kopf.
    Ich war mit den Antworten zufrieden, ich war mit allem zufrieden, weil ich alles verstand. Ich begriff das Universum und die Vergänglichkeit des Lebens darin und die Notwendigkeit, sich für kurze Zeit darüber zu erheben. Eigentlich hätte ich hinausrennen müssen, um die Menschen auf der Straße zu belehren, vielleicht musste ich auch ein Bild malen oder jedenfalls die Wohnung aufräumen, putzen, alle Gegenstände ordnen, in einem geometrischen System zueinander führen, in dem allein ihr Wesen sichtbar werden konnte. Ich kannte das System. Ich war wie gelähmt. Es musste etwas getan werden, etwas, das ich schon immer tun wollte, und schließlich setzte ich mich neben Jessie auf den Teppich, sah sie an mit einem Blick, der mir selbst in den Augen brannte und von dem ich fürchtete, er würde sie treffen wie ein Schlag von zweitausend Volt und zu Asche verbrennen. Nichts dergleichen geschah. Ich kauerte vor ihr in einem missratenen Schneidersitz, komplett ohne Bodenhaftung, und hinter ihrer gebeugten kleinen Silhouette verschob sich unablässig die Raumperspektive, Wände fuhren ineinander und wieder auseinander heraus. Plötzlich griff sie nach meiner Hand. Ihre Finger waren so klein, dass sie nicht meine ganze Hand, sondern nur Mittel- und Ringfinger fassten. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ein Mädchen meine Hand nahm. Wir sahen uns an, und ich verstand auch Jessie, ich wusste, dass auch in ihrem Kopf die Dinge neu geordnet werden mussten, nach einem System, das nur ich kannte.
    Mir fiel auf, dass die anderen drei leise miteinander sprachen.
    Aber was IST mit ihr, fragte ich.
    Herbert missverstand die Frage erneut.
    Sie trifft euch in Bari, sagte Herbert, gibt euch die Tickets und begleitet euch nach Wien zurück.
    Okay, sagte ich.
    Heute Abend gehen wir essen, sagte Herbert.
    Und was IST mit ihr, fragte ich.
    Jessie kommt mit, sagte er.
    Okay, sagte ich.
    Und auch Shershah nickte, grinsend und mit strahlenden Wangen.
    Als das Telephon klingelt, ist mir sofort klar, dass sie es ist. Ich schalte den Recorder aus. Wenn Donald Duck von seinem Onkel Dagobert angerufen wird, schwingt bei jedem Klingeln das Kabel in die Luft und zeichnet die Silhouette des Onkels, mit aufgesperrtem Schnabel. So ähnlich sehe ich Clara vor mir. Ich nehme ab.
    Was, knurrt sie, soll das.
    Darauf fällt mir nichts ein.
    Willst du mich verarschen, du Wichser, fragt sie.
    Ich überlege.
    Nein, sage ich.
    Pass mal auf, zischt sie, du kannst durchgeknallt sein oder auch nicht, aber verarschen lasse ich mich nicht. NICHT von DIR. MIR ist das WICHTIG. SEHR WICHTIG!
    Sie hat zu schreien begonnen, sie klingt

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