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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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jetzt den Kram, für den Sie hier sind, sagte er.
    Stickler, sagte ich, ich bin Balkanexperte. Gewesen. Polen und Tschechien liegen meines Wissens nach nicht in diesem Gebiet. Warum haben Sie mir nicht rechtzeitig Bescheid gesagt, damit ich mich vorbereiten kann?
    Sie machen das schon, sagte er. Rufus hat extra angerufen. Das oberste Gebot, hat er gesagt, lautet: Schengen zuerst. Was auch immer das heißen soll. Tschüs, ich muss los.
    Der Innenminister von Sachsen war in Wahrheit der Justizminister von Brandenburg, und ein mögliches Konzept für erweiterte regionale Zusammenarbeit im Rahmen der Assoziation skizzierte ich ihm aus dem Stegreif. Zum Abschied schüttelte er mir die Hand und neigte dabei den Kopf, es war die Andeutung einer Verbeugung. Ich verstand nicht. Erst als nach ihm immer mehr Leute kamen, deren Gesichter ich aus dem Fernsehen kannte, die Hilfe brauchten mit dem neuen europäischen Integrationsrecht und die mich mit ausgesuchtem Respekt behandelten, begriff ich langsam, dass ich bereits als Experte für die Osterweiterung gehandelt worden war, bevor ich auf diesem Gebiet zu arbeiten begonnen hatte. Die neue Rolle füllte ich ohne Mühe aus. Ich bedauerte nur, meine Kunden nicht in das große Konferenzzimmer der Wiener Kanzlei führen zu können, in dem die Wände schmutzig gelb sind von den eintausendsiebenhundertachtundsechzig Bänden der Treaty Series der Vereinten Nationen, die das Licht im Raum trüben und einen gleichzeitig chemischen und leicht harzigen Geruch nach Konservierungsmitteln verströmen. Die Gesichter der in dieses Zimmer geführten Kunden nehmen den Teint der Bücherwände an, und sie stellen ihre Fragen in Bescheidenheit. Aber auch in meinem kleinen Leipziger Büro hörte man zu, und als eines Tages die Konzepte zur institutionellen Reform der Europäischen Union auf meinem Tisch lagen, wusste ich, dass ich wieder ein Leben hatte. Manchmal rief Rufus an und nannte mich »Mäx the maximal«. Um sieben ging ich nach Hause und in den Nächten mit Jessie spazieren, die entschieden hatte, nie wieder bei Tageslicht das Haus zu verlassen. Ich führte ein normales Leben.
    Ich ertappe mich dabei, wie ich beim Denken die Lippen bewege. Jetzt bin ich drin, nichts Sonnengelbes hat mehr eine erschreckende Wirkung auf mich. Jetzt kann ich auch gleich weitermachen. Ich stehe auf und hole mir den DAT-Recorder.

11 Weiße Wölfe
    I m Wohnzimmer schleuderte Shershah seine Schuhe von den Füßen, einer traf die Ginflasche, die glücklicherweise zugeschraubt war und mit Bowlingbahngeräusch durch den Raum rollte, bis vor die Tür des Arbeitszimmers. Die Tür flog auf und katapultierte die Flasche zurück ins Zimmer, wo sie sich auf dem spiegelglatten Boden um sich selbst drehte. Es gibt ein Spiel, bei dem der, auf den die Flasche zeigt, eine peinliche Aufgabe erfüllen muss, die ihn zum Gespött der anderen macht. Ich starrte auf die kreiselnde Flasche wie auf einen Rouletteteller und wusste schon, auf wen sie zeigen würde, sobald sie ausgedreht hatte.
    Der Vater war ein Hüne, braun gebrannt und beleibt, aber nicht unsportlich. Sein Haar war schwarz, was mich angesichts Jessies gelber Borsten überraschte. Seine Hände, mit denen er sich beim Näherkommen das Haar zurückstrich, waren groß und fleischig wie Brathühnchen. Damit würde er uns in Kürze umbringen wegen der Verwüstung in seiner Wohnung. Er trug helle Leinenshorts und Slipper, und obwohl er so schwer war, ging er fast lautlos.
    Hinter ihm im Türrahmen erschien ein schmaler, leicht schlitzäugiger Mann. Ich schätzte ihn mindestens zehn Jahre älter als Jessie, etwa Mitte zwanzig. Er trug Hosen, die ihm ein wenig zu kurz waren, in der Schule nannten wir das »Hochwasser«. Darunter sah man die Socken, das Wort »Victory« war an den Seiten eingestickt. Seine Akne war noch schlimmer als meine. Unerträglich, ihm länger ins Gesicht zu sehen. Sofort regte sich der Wunsch, eine Pumpe mit großem Gummisaugnapf anzusetzen, Unterdruck zu erzeugen und sein Gesicht abzusaugen, alle Pickel darin zum Platzen zu bringen. Er beachtete mich nicht, er starrte Shershah an. Dann rannte Jessie auf die beiden zu.
    Na meine Große!, rief der Vater.
    Sie griff in die Falten seines Hemds, er hob sie hoch und schwenkte sie um sich herum, wobei sie glücklich quiekte. Er reichte sie an den Bruder weiter, der kurz seine Schlangenarme um sie wickelte und sie anlächelte.
    Hey Kleine, sagte er.
    Hey Ross, sagte sie
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen,

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