Adler und Engel (German Edition)
um ihm auf die Schulter zu klopfen, und er lachte, woran sich die Augen nicht beteiligten, sie waren samt der Augenhöhlen wie erstarrt. Vielleicht hatte er ein Nervenleiden, eine partielle Gesichtslähmung.
Shershah versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, das Plastikfeuerzeug sprang nicht an und er warf es auf den Boden. Jessies Vater kam heran und gab ihm Feuer.
Ich bin Herbert, sagte er.
Shershah nickte und schüttelte ihm die Hand, ohne ihn anzusehen.
Freut mich, sagte Herbert, endlich Jessies Freunde kennen zu lernen. Auch wenn ich eigentlich nur einen erwartet hatte. Aber ihr lasst es euch gut gehen in meiner Wohnung, das freut mich ebenfalls.
Er klang, als würde er das ernst meinen. Shershah schaute an ihm vorbei mit einem Blick, der die meisten Lehrer bis kurz davor brachte, ihm eine reinzuhauen.
Immerhin, sagte er abwesend, hat es ja einen Grund, dass wir hier sind.
Ihr macht Ferien mit meiner Tochter, sagte Herbert. Sie sieht aus, als würde ihr das gut bekommen.
Jessie lächelte zuckersüß.
Und alles Weitere, sagte Herbert, besprechen wir in meinem Arbeitszimmer.
Er ließ uns vorangehen. Das Arbeitszimmer war als einziges in der Wohnung bisher verschlossen gewesen. Auf der Schwelle schlug mir kalte Luft entgegen, drinnen musste eine Klimaanlage arbeiten. Das Zimmer war verhältnismäßig klein und wurde von einem großen Schreibtisch in der Raummitte beherrscht. Die Schweißperlen auf meiner Stirn begannen zum ersten Mal seit Tagen zu trocknen. Ich setzte mich auf die breite Fensterbank, hob die Arme und faltete die Hände hinter dem Kopf, um kühle Luft an meine Achselhöhlen heranzulassen. Die Steinwüstenwelt draußen vor der Scheibe schien nur noch eine Projektion zu sein.
Herbert setzte sich an den Schreibtisch, schlug ein Notizbuch auf und nahm eine Brille aus der Schublade. Jessie ließ sich auf dem Teppich nieder und zupfte an ihren Zehen herum. Ross lehnte an einem der Regale und fixierte weiterhin Shershah, der mit verschränkten Armen frei im Raum stand.
Seit wann hast du den Führerschein, fragte Herbert.
Ich habe keinen Führerschein, sagte Shershah.
Der Vater schob das Notizbuch beiseite und nahm die Brille wieder ab. Ross löste endlich den Blick von Shershah und sah Jessie an, die mit gebeugtem Rücken ihre Füße untersuchte.
Jessie, sagte Herbert nach einer Weile, Jessie, was hat das zu bedeuten?
Sie antwortete nicht und hörte nicht auf, an ihren Füßen zu kratzen. Ihre Fingernägel waren schon ganz schwarz davon.
Jessie!, rief Herbert.
Ross tauschte einen schnellen Blick mit seinem Vater und hob warnend einen Finger.
Kleine, sagte er, wie seid ihr denn hergekommen?
Mit dem roten Fiat, sagte Jessie.
Und wer ist gefahren?
Der da, sagte sie und zeigte auf mich.
Und was macht dann der andere hier?, fragte Herbert ungeduldig.
Aber das ist doch Shershah, sagte sie. Den wolltest du doch.
Herbert stand auf und hockte sich neben sie. Sofort ließ sie sich zur Seite kippen und rollte sich zusammen.
Der Fiat ist ein liebes Auto, rief sie, ein braves gutes Auto, wir fahren immer damit.
Trotz der niedrigen Temperatur im Raum bekam ich wieder feuchte Hände und legte sie zum Kühlen auf die Steinplatte der Fensterbank. Jessie und ihr Vater, beide zusammengekrümmt und kauernd, sahen aus wie zwei Eier, das eine aufrecht, das andere liegend. Ich verstand nicht. Ich begegnete Shershahs Blick. Er war zurückgetreten, um Herbert Platz zu machen, und sah mich fragend an. Ich deutete ein Schulterzucken an und schüttelte den Kopf. Ross löste sich von der Wand, stieß seinen Vater beiseite und bückte sich zu Jessie hinunter.
Draußen vor dem Fenster, sagte er leise zu ihr, grinsen die gelben Löwen. Wollen wir zusammen auf die weißen Wölfe warten?
Mit einem Ruck setzte sie sich auf, wischte das Gesicht mit beiden Händen und schob Ross verlegen lächelnd von sich.
Okay, flüsterte sie.
Ross ging auf seinen Platz am Regal zurück.
Vater wollte nur wissen, wer fährt, sagte er.
Jessie sprang auf die Füße, rannte zu Shershah und prallte gegen ihn. Er war überrascht genug, um sie in die Arme zu schließen. Von dort aus zeigte sie wieder auf mich.
Cooper fährt, sagte sie.
Zum ersten Mal nannte sie mich vor anderen so. Ich wusste, dass sie es nett meinte, es war mir trotzdem peinlich.
Max, sagte ich zu Herbert.
Aha, sagte er.
Er winkte mir zu mit seiner großen Hand, als säße ich auf der Reling eines Ozeandampfers, der sich gerade von der Kaimauer löst, um
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