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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Beispiel.
    Ich spüre ihre Hand auf meinem Rücken, dann auf meinem Kopf, vielleicht soll das ein Streicheln sein, vielleicht prüft sie auch nur die elektrostatische Qualität meiner Haare. Egal, ich fahre herum und schlage gegen ihr Handgelenk, dass der Arm zur Seite fliegt und gegen die Autoscheibe knallt. Ich hoffe, es hat weh getan. Sie zieht kurz die Luft durch die Zähne und geht, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, zum Tisch zurück, wo der Hund wartet und den Blick fest auf den Rest meines Brötchens geheftet hat. Sie wirft es ihm zu, mit links.

16 Heilige Kühe
    D as Polster in der Hängematte stinkt nach Mäusedreck. Es besteht aus einem zusammengerollten Kunststoffschlafsack mit einer glänzenden Oberfläche, die aus irgendeinem Grund die Mäuse davon abgehalten haben muss, Löcher in den Stoff zu beißen und sich im Füllmaterial ihre Nester zu bauen. Mir ist nicht klar, was sie dann überhaupt in der Matte wollen. Um hineinzugelangen, müssen sie den Balken hinaufklettern und sich das schräg abfallende Seil entlanghangeln wie Action-Helden über eine Schlucht.
    Ich lasse ein Bein seitlich heraushängen, so dass meine Zehen den Boden berühren, und bringe mich mit leichten Stößen zum Schwingen. Der Schweiß an meinem Rücken verbindet sich mit der muffigen Kunstseide des Schlafsacks zu einer Art Juckpulver, aber ich bin zu erschöpft, um mich zu kratzen, schließe die Augen und versuche, das Jucken als ein bloßes Nervenphänomen zu betrachten, als eine unter vielen Erscheinungen, wie die Kopfschmerzen oder das Brennen meiner Augen. Mir fällt plötzlich auf, wie stark ich abgenommen habe, meine Rippen werfen Schatten wie Bergkämme kurz vor Sonnenuntergang, mein Bauch ist konkav, die Knie wie eine Ansammlung von Kieselsteinen, die Waden Kabelstränge. Es sieht gut aus.
    Clara steht vor der Wandtafel und betrachtet die blassen Kreidezeichnungen. Auch sie hat die Hose ausgezogen. Die Tür zum Hof ist offen, eine scharfkantige Lichtraute am Boden streckt ihre Spitzen nach Claras Fersen aus. Als wir ankamen, zeigte das Thermometer am Türrahmen bereits zweiunddreißig Grad, um zehn Uhr früh. Ich trat ein paar Mal gegen die Tür, dicht neben dem Schloss, ohne dass etwas passierte. Dann fiel mein Blick auf den alten Dauerbrandofen an der Hauswand, und ich fand den großen Schlüssel im Anschlussstück für das Kaminrohr. Er war feucht. Auf meinen Fingern sind orangefarbene Flecken vom Rost, die sich nicht abreiben lassen.
    Weißt du, fragt Clara, was dieses Gekritzel bedeutet?
    Sie stellt einen Fuß auf den Rand des Holzbodens, darunter beginnt es zu rascheln und verstummt wieder. Der Untergrund besteht aus Zement, über dem auf zwei Dritteln der Fläche des Raums rohe Bretter liegen, auf querlaufende Balken genagelt. In dem handbreiten Spalt zwischen Zement und Dielen wohnen die Mäuse.
    Sie steigt über den Hund und stößt sich dabei das rechte Bein an mir, Kniescheibe an Kniescheibe. Mit dem Fuß bleibt sie im Trageriemen ihrer Reisetasche hängen und stolpert, es knirscht, als sie in eine Tüte mit altem Müll tritt, ein Joghurtbecher rollt heraus, das Innere gänzlich schwarz. Jacques Chirac springt auf und trabt aus der Tür in den Hof. Der Schuppen misst kaum zwanzig Quadratmeter, die Hängematte blockiert die Raummitte, in den Ecken stehen Kartons und ein Stapel dicker Computerhandbücher, deren Umschläge aufgebogen sind von Feuchtigkeit. Die einzige freie Fläche ist das bretterlose Stück Zementboden zwischen Tür und Wandtafel, auf dem sich nur zwei hüfthohe Rollschränke aus Metall befinden. Der eine ist als Küche, der andere als Badezimmer ausgerüstet.
    Clara zupft ein einzelnes Blatt aus den Papierschichten, die den ganzen Schreibtisch bedecken. Mit dem Zettel setzt sie sich vor der Wandtafel auf den Rand des Bretterbodens. Die unbearbeiteten Dielen mit den vielen kleinen hochstehenden Fasern und Spleißen müssen sich anfühlen wie ein Ameisennest unter ihren nackten Schenkeln.
    Ich bin froh, dass sie sich nicht bequem niederlassen kann. Außer der Hängematte gibt es nur noch einen mit Schaumstoff gepolsterten Holzbock als Sitzgelegenheit vor dem Schreibtisch, von der gleichen Sorte wie die beiden Böcke, auf denen die Tischplatte liegt. Könnte sie hier irgendwo eine entspannte Haltung finden, auch nur den Rücken richtig anlehnen, würde sie sofort einschlafen. Meine eigenen Augen stehen halb offen wie klemmende Jalousien, und in meinem Kopf zieht langsam und verschwommen

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