Adler und Engel (German Edition)
Füße auf die Bank.
Das neue Jet-Boot schafft fünfzig Knoten, sagt Clara, weißt du, wie viel das ist?
Nein, sage ich.
Das sind zweiundneunzig Stundenkilometer, sagt sie. Und damit hat es immer noch keine Chance gegen die Rennboote der Schmuggler. Sie fahren Schlauchboote oder leichte Plastikschalen, übermotorisiert wie Rennwagen.
Na, na, sage ich.
Sie bläst in ihren Kaffee, der sowieso nicht richtig warm ist.
Die Routen gehen über Albanien oder Montenegro, sagt sie, und transportiert werden vor allem Drogen und Waffen. Manchmal ist vielleicht auch ein Flüchtling dabei. Aber die richtigen Schlepper arbeiten mit größeren Schiffen, die werden nicht so schnell.
Der Himmel über uns ist blassgrau und von hinten beleuchtet wie ein leerer Computermonitor. Falls es einen Gott gibt, sitzt er dahinter und programmiert gerade den zweiten August neunundneunzig. Dabei fällt mir ein, dass ich Geburtstag habe. Es verspricht ein heißer Tag zu werden.
Das Geile ist, sagt Clara, dass sie zwar nachts fahren, aber sich nicht wirklich verstecken. Der ganze Erfolg ihrer Arbeit hängt von der Geschwindigkeit ab. Sie liefern sich Rennen mit der Polizei und sind dafür ausgerüstet, diese Rennen zu gewinnen.
Das Stück Brötchen in meinem Mund bläht sich zu doppelter Größe auf, je länger ich darauf herumkaue. Ich überlege, ob ich es dem Hund hinspucken soll, zwänge es dann aber doch hinunter. Ein stechender Schmerz treibt mir das Wasser in die Augen, als mir der Bissen kurz unter dem Kehlkopf im Hals stecken bleibt, ich nehme einen großen Schluck Kaffee zum Durchspülen. Ich sehe Shershah und Jessie vor mir, beide schwarz gekleidet, Jessies gelbe Haare unter eine dunkle Mütze gestopft, es ist Nacht. Sie reicht ihm kaum bis zur Schulter, und sie schieben ihre ungleichen Schatten vor sich her durch eine kopfsteingepflasterte Gasse, die so eng ist, dass sie mit ausgestreckten Ellenbogen links und rechts an den Hauswänden entlangschrammen könnten. Sie gehen ruhig, als wäre es ein Spaziergang, ohne zu reden, ohne sich zu berühren.
Bari muss über ein System aus extrem engen Gassen verfügen, sagt Clara, das weißt du wahrscheinlich besser als ich.
Ja, ja, sage ich.
In einer dieser Gassen, sagt Clara, wartet ein Transportfahrzeug, so nah wie möglich am Wasser, an irgendeiner einigermaßen zugänglichen Stelle. Das Schnellboot rast heran, mit möglichst großem Vorsprung vor der Polizei. Sie werfen die Ware an Land, ebenso den Außenborder, verstauen alles im Wagen und fahren davon. Das leere Boot lassen sie zurück. Falls es eine Landstreife schnell genug schafft, die Verfolgung aufzunehmen, lassen sie sich seelenruhig beschießen und durchbrechen auch jede Straßensperre.
Während Clara spricht, sehe ich Shershah und Jessie nebeneinander im Heck eines Schlauchboots, das sich fast senkrecht aufstellt, eine keilförmige Wasserfontäne hinter sich, die schneeweiß leuchtet auf der schwarzen Meeresfläche. Ihre gelben und seine dunklen Haare waagerecht nach hinten gezogen, die Gesichter windhundförmig zugespitzt von der Geschwindigkeit. Clara hat ihr Brötchen aufgegessen und klopft sich die Krümel von den Händen.
Errätst du schon, wie sie das machen, fragt sie, was für Autos sie verwenden?
Ich starre in meinen Kaffeebecher, als könnte es sich bei dem glatten schwarzen Flüssigkeitsspiegel um ein Fluchtloch handeln, durch das ich wegtauchen kann. Ich trinke den Rest und drücke den Becher mit einer Hand zusammen.
Panzerfahrzeuge, sagt Clara triumphierend. Von außen sieht man es ihnen nicht an. Innen haben sie zentnerschwere Stahlplatten hinter allen Türen, auch im Kofferraum und unter der Motorhaube. Erinnert dich das an was?
Ich lasse sie auf dem Tisch sitzen, kehre zum Wagen zurück und lege beide Hände auf die warme, tickende Motorhaube. Nach wenigen Sekunden tritt Clara hinter mich.
Die Fahrzeuge werden zu diesem Zweck importiert, sagt sie eifrig, und oft schon an den Grenzen beschlagnahmt. Im Netz waren Bilder von den Fuhrparks, die sich bei der Polizei inzwischen angesammelt haben.
Eine Zeit lang, sage ich, wollte ich immer wissen, was Jessie erlebt hat, vielleicht nachts auf dem Meer, vielleicht an anderen Orten. Eine Zeit lang konnte ich nicht vergessen, dass sie Schreckliches gesehen hatte, und ich dachte, ich könnte schlecht mit ihr leben, solange ich nicht wusste, welche Bilder sich in ihrem Kopf bewegten.
Das, sagt Clara, lässt sich vielleicht im Nachhinein noch klären. Jetzt zum
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