Adler und Engel (German Edition)
wenn ich welche hätte.
Brauchst du nicht, sagt sie, ich kenne so jemanden.
Und was macht er jetzt?, frage ich.
Er ist immer noch fett und picklig, hat eine nette Frau und ein Kind und ist sehr glücklich.
Was willst du mir damit sagen?
Sie übergeht diese Frage und überholt mit vorbildlichem Schulterblick einen LKW.
Hattest du nie, sagt sie, eine Idee von Gerechtigkeit?
Nein, sage ich.
Von richtig und falsch?
Nein, sage ich.
Gut und böse?
Nein, sage ich.
Sind alle Juristen so?
Ja, sage ich.
Am nächsten Parkplatz lassen wir den Hund raus, er verschwindet sofort in der Dunkelheit, und ich höre, wie die flüssige Scheiße, getrieben von entweichendem Gas, aus seinem Darm ins Gras spritzt. Ich vertrete mir die Beine, rauche eine Zigarette und schaue Cassiopeia an, die ein großes M auf den Himmel schreibt, M wie Max. Clara steht hinter mir neben der offenen Beifahrertür und tauscht Rock und Motorradstiefel gegen Jeans und Turnschuhe.
Auf der linken Seite, gleich über dem Horizont, scheint der Himmel ein bisschen auszubleichen wie ein abgescheuertes Stück Baumwollstoff. Clara hat es auch gesehen, sie fängt an, auf dem Sitz hin und her zu rutschen. Während sie so neben mir sitzt im faden Licht, ganz ohne Kopfhörer, Kabel und Mikrophon, fällt mir richtig auf, wie jung sie ist und dass sogar Jessie, ausgerechnet Jessie, fünf Jahre älter war. Ihre Hände sehen winzig aus auf dem Lenkrad, und einen Moment lang empfinde ich es als schockierend, dass jemand mit so kleinen Händen überhaupt überleben kann auf dieser Welt.
Unterhältst du dich ein bisschen mit mir, fragt sie.
Ich krame in der Reisetasche, auf der meine Füße stehen. Sie ist voll mit Claras Klamotten, ich kenne jedes einzelne Stück, einige davon habe ich selbst schon getragen. Die Sachen sind sauber und zusammengefaltet.
Im Seitenfach, sagt sie.
Ich finde meinen gesamten Kokainvorrat, etwa hundert Gramm, eine Handvoll unterschiedlich großer, klumpig gekauter Kaugummis.
Perfekte Logistik, sage ich. Zur Belohnung helfe ich dir bei der Wahl des Gesprächsthemas. Vielleicht willst du darüber sprechen, was du eigentlich vorhast?
Nee, sagt sie. Aber hast du dich eigentlich jemals gefragt, was die da unten in Bari gemacht haben?
Wer, frage ich.
Das Unternehmen der Familie deiner Tussi, sagt sie.
Du überraschst mich immer wieder, sage ich. Ich wüsste gern, ob du mutig bist oder einfach nur saudumm.
Wieso, fragt sie, weil ich Nachforschungen anstelle über ein paar Hobbyschmuggler?
Für eine Weile genieße ich einfach nur die weitwinklige Perspektive meines Gesichtsfelds und das intonationsfreie Brummen des Motors.
Nein, sage ich, weil du deinen verkrüppelten Wortschatz anwendest auf Dinge, von denen du nicht einmal mit Engelszungen singen dürftest.
Ich habe ein bisschen im Internet gesucht, sagt sie, und schließlich einen Artikel mit folgender Headline gefunden: Italienische Küstenwache kauft Jet-Boot für umgerechnet zwei Komma fünf Millionen Mark.
Interessant, sage ich.
Süditalienisch, sagt sie, es kreuzt vor Brindisi und vor Bari.
Und wozu brauchst du den Müll, frage ich.
Ich habe dem Prof von deinem Mord erzählt, sagt sie.
Es war kein Mord, sage ich, sondern versuchter Totschlag in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung.
Er wurde ganz aufgeregt, sagt sie. Vor allem als ich ihm dein neues Bari-Band vorspielte.
Danke, sage ich geschmeichelt, das ist auch meine Lieblingskassette.
Er will mehr von der Hintergrundgeschichte. Fräulein Müller, sagte er, Sie sind auf dem richtigen Weg.
Dann ist ja alles gut.
Nur eins macht mir Sorgen.
Und das wäre?
Naja, sagt sie, möglicherweise hat es einen therapeutischen Effekt auf dich, dass du meine Bänder vollquatschst, und dann wirst du normal, bevor ich fertig bin.
Ein Wettlauf gegen die Zeit, sage ich.
Im Ernst, sagt sie. Ich weiß inzwischen, wer du bist. In deiner Kanzlei haben sie mir erzählt, dass du drauf und dran warst, einer der wichtigsten internationalen Juristen in Europa zu werden. Dass du zusammen mit deinen Kollegen aus Frankreich und Polen einen rechtlichen Motor für die Ostintegration gebildet hast.
Oh je, sage ich und muss lächeln. Maria liebt mich also immer noch.
So einer wie du, sagt Clara, hängt höchstens mal zeitweise in den Seilen.
Süße, sage ich, das ist alles vorbei. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass ich dir zwischendrin wegsterbe.
Das wäre nicht schlimm, sagt sie, darüber könnte ich schreiben. Aber glaub mir, so
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