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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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mehr, um sich zu wärmen, keine Gabeln, um sich zu kämmen, keine Margarine, um sich einzucremen. Sie konnten sich nicht bücken.
    Jessie, fragte ich, warum konnten diese Frauen sich nicht bücken?
    Weiß ich doch nicht, sagte sie. Die machten alles im Stehen, Sprechen, Pinkeln, Schlafen, eine ist sogar im Stehen gestorben vor Schreck, als ein Tiger versucht hat, den Raum zu betreten. Darum brauchten sie mich. Die Großmütter konnten mit niemandem sprechen, außer mit mir.
    In der Hosentasche presste ich das Papiertaschentuch mit den kleinen Blutflecken darauf. Es wurde feucht vom Schweiß meiner Handfläche und begann zu bröseln. Ich riss mich zusammen und zwang mich, ein paar Nudeln aus meinem Teller zu zupfen und in den Mund zu schieben. Ich erinnerte mich daran, wie man sich bei einem normalen Gespräch verhält, und stützte die Ellenbogen auf den Tisch.
    War das hier in der Nähe, fragte ich.
    Ja, sagte sie. Erst mit dem Flugzeug, dann mit dem Jeep. Ein paar Tiger haben uns am Flughafen abgeholt. Ross hielt die ganze Zeit meinen linken Arm umklammert. Beim ersten Mal war Herbert auch dabei und der hat die ganze Zeit meinen anderen Arm gehalten. Als könnte ich nicht alleine gehen. Ross’ Hand hat an meinem Ellenbogen gezittert, er machte keine Witze, was bedeutet, dass er Angst hatte. Wovor, wusste ich nicht. Niemand hat ein Wort geredet.
    Waren die Tiger bewaffnet, fragte ich.
    Klar, sagte sie.
    Und ihr?
    Eher nicht, sagte sie.
    Und waren die Tiger sehr jung und gut rasiert?, fragte ich. Und rochen stark nach Aftershave?
    Ja, sagte sie erfreut, woher weißt du das? Warst du auch mal da?
    Vielleicht, sagte ich geheimnisvoll.
    Sie lächelte mich an und ich gratulierte mir innerlich, es lief gut. Ich nahm noch ein paar Nudeln, die ich am liebsten gleich wieder ausgekotzt hätte, und gab vor, so mit Essen beschäftigt zu sein, dass ich kaum zuhören konnte.
    Es hat überall gestunken, sagte sie. Es war ein schlechter Flughafen, nicht wie der in Bari. Es gab keine Geschäfte, kaum Gebäude, eigentlich nur Matsch.
    Unerfreulich, sagte ich abwesend.
    Ja, sagte sie, ich wollte endlich ins Auto und wegfahren, aber als wir drin saßen, haben sie scheußliche Musik angestellt, unglaublich laut. Turbo-Folk. Weißt du, was das ist?
    Glaub nicht.
    Das ist Geschrei von einer Frau, dazu schnelle Geigen und ein Synthesizer.
    Ach so, sagte ich.
    Das musste eine von Cecas Platten gewesen sein, ich wusste, dass Arkan die Musik seiner Frau als Erkennungszeichen verwendete. Es ging wie bei allem darum, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Leute auf die Beine zu bringen, und sie machten das so gut, dass die Menschen schließlich vom Abendessen aufsprangen, sobald sie diese Musik auf der Straße hörten, und mit vollem Mund ihr Haus durch die Hintertür verließen, um in die Wälder zu fliehen. Wer nicht floh, bereute es.
    Deshalb, sagte Jessie, habe ich unserem Fahrer auf die Schulter getippt und gefragt, ob er den verfickten Lärm abdrehen kann. Er sagte »Halts Maul«. Daraufhin hat ihn der Beifahrer angeschrien und ich habe ihm von hinten in die Frisur gefasst und einmal kräftig daran gerissen. Der Jeep fuhr ein paar Meter nach rechts in die Böschung, der Matsch spritzte hoch, dann haben sie den Wagen wieder auf die Straße gebracht. Ross hat meinen Arm gequetscht, obwohl er selber grinsen musste. Und die Musik war jetzt aus. Herbert saß da, als hätte er überhaupt nichts gemerkt. Er hat die ganze Fahrt über zur Seite in die Landschaft geschaut, und mit dem hellblauen Hemd sah er aus, als wären wir im Urlaub.
    Ich kriegte wirklich keine Nudeln mehr runter, stattdessen nahm ich einen Zahnstocher und fing an, in den Zähnen zu bohren. Der Kellner kam schon wieder an den Tisch, um den Teller abzuräumen, ich wünschte ihn zur Hölle, wir hätten in ein billigeres Restaurant gehen sollen, wo der Service schlechter war. Glücklicherweise war Jessie gerade mitten in einem Gedankengang und ließ sich nicht ablenken.
    Wir fuhren dann in eine Stadt hinein, sagte sie, und hielten vor einem Hotel.
    Seit Beginn ihrer Erzählung brannte ich auf eine Ortsangabe. Ich wagte einen Versuch.
    War das so ein Hotel mit Terrasse auf dem Bürgersteig?, fragte ich auf gut Glück.
    Genau, rief sie. Kennst du das?
    Kommt drauf an, sagte ich. Wie hieß denn die Stadt?
    Das ist schon lange her, sagte sie. Ich weiß noch, dass ich an Sunkist denken musste, dabei gibt es von denen keinen Most.
    Sanski Most, sagte ich.
    Stimmt, sagte

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