Admiral Bolithos Erbe
einzig mögliche Landeplatz für das Boot der
Ceres
,
das sie holen kam. »Von diesem Strand zum Kirchturm mit dem optischen Telegraphen ist es nicht weit. Aber erst muß man bis dahin kommen. Es wäre Irrsinn.«
»Ich könnte den Strand finden«, schlug Browne vor. »Den vergesse ich mein Lebtag nicht.«
»Aber auch wenn Sie das könnten…« Herrick blickte auf die Karte und dann in Bolithos Gesicht.
»Mache ich mir schon wieder zu viele Sorgen, Thomas?« Bolithos Ton war resignierend. »Neale hätte den Strand wiedererkannt, ich ebenfalls. Aber Oliver ist mein Adjutant, und ich habe sein Leben schon genug in Gefahr gebracht, auch ohne diesen irrsinnigen Plan.«
Grob antwortete Herrick: »John Neale ist tot, Sir, und diesmal können Sie nun wirklich nicht selbst gehen. Das Kapern des Fischkutters war Ihre Idee, und sie hat gute Früchte getragen, obwohl ich wette, daß Sie hinterher jede Menge Skrupel bekamen.« Er wartete auf den richtigen Moment wie ein erfahrener Stückmeister mit der Lunte. »Bei dieser Aktion heute nacht starben ein Marinesoldat und zwei gute Seeleute. Ich kannte sie, Sir, aber können Sie dasselbe behaupten?«
Bolitho verneinte. »Wollen Sie damit sagen, daß es mir deshalb nicht so nahegeht?«
»Ich will damit sagen«, erwiderte Herrick nachdrücklich, »daß es Ihnen nicht so nahegehen
darf
,
Sir. Der Tod dieser drei Männer trug mit dazu bei, daß wir jetzt einen geringen Vorteil haben. Wir wissen mehr über den Feind. Bei der Kommandantenbesprechung morgen werden alle derselben Meinung sein. Mit einer begrenzten Zahl von Menschenleben das Leben aller zu retten, ist das Los jedes Kommandanten.« Etwas milder setzte er hinzu: »Lassen Sie nur Freiwillige vortreten, dann melden sich bestimmt mehr Offiziere, als Sie brauchen können. Aber keiner davon kennt die kleine Bucht oder den Weg zum Semaphorenturm. Es ist ein großes Risiko, aber nur Mr. Browne hier kennt sich dort aus.« Traurig sah er zu dem erschöpften Flaggleutnant hinüber. »Wenn uns dieses Risiko einen weiteren Vorteil einbringt und die Chance, unsere Verluste geringer zu halten, dann müssen wir es eingehen.«
Browne nickte schwach. »Genau das meinte ich vorhin, Sir.«
»Ich weiß, Oliver. Aber haben Sie schon bedacht, wie groß Ihre Erfolgschancen sind im Vergleich zur Gefahr?«
»Er ist eingeschlafen, Sir.« Herricks Blick verweilte lange auf Browne. »Wie dem auch sei, es bleibt die einzig mögliche Entscheidung. Unsere einzige Chance.«
Bolitho musterte den schlafenden Leutnant, der die Beine weit von sich gestreckt hatte. Herrick hatte natürlich recht.
Der Kommodore griff grimmig lächelnd nach seinem Hut. »Ich hatte einen ausgezeichneten Lehrmeister, Sir.« Und mit einem letzten Blick zu Browne schloß er: »Vielleicht hat er ja das Glück abermals auf seiner Seite.«
Als die Tür hinter Herrick ins Schloß fiel, sagte Bolitho leise: »Diesmal braucht er aber mehr als Glück, mein Freund.«
Als ein Kommandant nach dem anderen auf der
Benbo
w
eintraf, wurde die Stimmung in der großen Achterkajüte immer heiterer und ungezwungener. Die Kommandanten, ob nun älter oder jünger, fühlten sich unter ihresgleichen und mußten nicht länger den Wall von Autorität um sich errichten, hinter dem sie sonst ihre persönlichen Befürchtungen oder Hoffnungen verbargen.
Jeder einzelne war an der Schanzkleidpforte von der Ehrenwache gebührend in Empfang genommen worden, jeder einzelne hatte kurz innegehalten und nach achtern zur Flagge hin gegrüßt, während die Pfeifen schrillten und die Musketen aufstampften – zu Ehren der goldenen Kapitänsepauletten und der Männer, die sie trugen.
In der Kajüte hatten Allday und Tuck mit Ozzards Hilfe Stühle arrangiert, Weingläser gefüllt und es den Gästen so behaglich wie möglich gemacht. Für Allday waren einige davon alte Bekannte: Francis Inch von der
Odin
,
mit seinem langen Pferdegesicht und spontanen Enthusiasmus; der blonde und elegante Valentine Keen von der
Nicator
,
der schon als Midshipman und junger Leutnant unter Bolitho gedient hatte. Er begrüßte Allday vor den Augen der anderen besonders herzlich, was manche verstanden und anderen ein Rätsel blieb. Aber Keen vergaß nicht, daß er vor langer Zeit schwer verletzt unter Deck geschafft worden war, als ihn ein Holzsplitter im Gefecht wie eine Lanze durchbohrt hatte. Der Schiffsarzt war zu betrunken gewesen, deshalb hatte Allday die Initiative ergriffen, hatte Keen von den Arzthelfern niederhalten lassen
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