Admiral Bolithos Erbe
konnte er keinen Augenblick länger ertragen.
An Deck überfiel ihn der Lärm; Segel knallten, Blöcke quietschten. Gestalten kamen und gingen im Finstern, und um das große Doppelrad standen der Master und seine Rudergänger wie Überlebende eines Schiffbruchs, die sich auf einem winzigen Eiland zusammendrängten.
Inchs schlacksige Gestalt eilte herbei, um den Admiral zu begrüßen.
»Guten Morgen, Sir.« Inch war kein Schauspieler und konnte seine Überraschung nicht verhehlen. »Stimmt etwas nicht?«
Bolitho nahm seinen Arm und führte ihn abseits an die Reling.
»Der Wind«, sagte er.
Inch starrte ihn an. »Der Master glaubt, er wird noch weiter drehen, Sir.«
»Aha. Glaubt er das?« Der alte Grubb hätte es
gewußt
,
dachte Bolitho, so sicher, als hätte er Gott auf seiner Seite.
Gischt wehte durch die straffen Wanten, und jenseits davon, querab, aber immer noch in Position, konnte er schwach den Umriß von
Phalarop
e
erahnen; ein Geisterschiff, in der Tat.
Bolitho biß sich auf die Lippen. »Gehen wir in den Kartenraum«, sagte er knapp. Inch und der Master folgten ihm in den abgeblendeten Raum unter der Hütte und starrten angestrengt auf die Seekarte nieder. Bolitho spürte, wie Inch gespannt auf seine Entscheidung wartete, vor allem aber spürte er das unaufhaltsame Verrinnen der Zeit. Wie Sand im Stundenglas: nichts konnte sie aufhalten oder bremsen.
Er begann: »Wir können nicht länger warten. Rufen Sie alle Mann an Deck und machen Sie klar zum Gefecht.« Er wartete, bis Inch den Befehl an einen Bootsmann draußen vor der Tür weitergegeben hatte. »Sie schätzen, daß wir etwa zehn Meilen südwestlich der Landzunge stehen?«
Der Master nickte wortlos, und Bolitho sah flüchtig in ein besorgtes, aber sachkundiges Gesicht. Plötzlich fiel es ihm wieder ein: Dieser Mann hier war als Erster Steuermann eingesprungen, als der alte Master vor Kopenhagen gefallen war. Damals war er ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Und jetzt?
Inch beugte sich vor und beobachtete, wie Bolitho den Stechzirkel über die Seekarte wandern ließ.
»Das französische Geschwader ankert vor der Landspitze hier, nördlich der Loire-Mündung.« Bolitho sprach seine Gedanken laut aus. »Wenn wir beim ursprünglichen Plan blieben, würden wir Stunden brauchen, um gegen den Wind dorthin aufzukreuzen. Aber wir müssen noch vor Tagesanbruch an dem französischen Geschwader vorbei sein und in die Bucht hineinsegeln, wo die Landungsflotte verankert liegt.« Er blickte den Master an.
»Also?«
»Na los, Mr. M’Ewan«, sagte Inch ermunternd.
Der Master befeuchtete sich die Lippen, dann sagte er entschlossen: »Wir könnten luven, Sir, bis wir dicht unter Land sind, dann wenden und nordwestlichen Kurs segeln, hoch am Wind, bis in die Bucht hinein. Vorausgesetzt, der Wind dreht nicht noch weiter. Denn wenn das passiert, rennen wir uns fest, Sir, und dann gnade uns Gott.«
Inch wollte schon protestieren, klappte den Mund aber wieder zu, als er Bolitho nicken sah.
»Das ist richtig. So verkürzen wir die Anfahrt um eine Stunde, und wenn wir Glück haben, mogeln wir uns mit einer Meile Abstand an den französischen Kriegsschiffen vorbei.« Bolitho sah Inch an. »Sie wollten etwas sagen?«
»Der Wind ist nicht nur für uns ungünstig, Sir.« Inch zuckte hilflos die Schultern. »Er hält auch den Rest des Geschwaders auf.«
»Das weiß ich.«
Von oben erklang gedämpftes Fußgetrappel, das Scharren und Knirschen und Poltern, mit dem Zwischenwände gelegt und andere Hindernisse beseitigt oder ins Orlopdeck hinuntergelassen wurden. Ein Kriegsschiff im Gefecht brauchte Decks, die vom Bug bis zum Heck freigeräumt waren; wo Männer gewohnt, gegessen, gehofft, geschlafen und geübt hatten, gehörte der Platz jetzt den Kanonen. Die Zeit der Prüfung war für alle gekommen.
»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!« rief der Erste Offizier.
Inch warf einen Blick auf seine Taschenuhr und strahlte. »Neun Minuten, Mr. Graham. Das ist eine gute Zeit.«
Plötzliche Trauer überfiel Bolitho, und er mußte sich abwenden. Genauso hatte auch Neale sich benommen.
Aber dann sagte er zu Inch: »Wenn wir uns verspäten, könnten wir in Grund und Boden geschossen werden. Ob Kommodore Herrick nun rechtzeitig zu unserer Unterstützung eintrifft oder nicht, wir müssen auf jeden Fall zwischen diese Landungsboote gelangen.« Er sah Inch fest an. »Nur das zählt, sonst nichts.«
Überraschenderweise schien Inch das zu freuen. »Ich weiß, Sir«, strahlte
Weitere Kostenlose Bücher