Admiral Bolithos Erbe
Kinder; was sollte aus ihnen werden, wenn er heute fiel? Warum bloß erfüllte es ihn mit Stolz und Freude, in ein Gefecht zu ziehen, das für sie alle das Ende bringen konnte?
Und dann Belinda. Unruhig ging Bolitho an den Finknetzen auf und ab, wobei er Stirling völlig vergaß, der sich wie ein Schatten dicht an seiner Seite hielt. Nein, an Belinda durfte er jetzt nicht denken.
Er hörte einen Mann leise sagen: »Da ist die alte
Phalarope,
Jim. Jeder Äppelkahn wäre mir lieber als sie!« Dann schien er Bolithos Nähe zu spüren und verstummte.
Bolitho starrte zu dem Schemen hinüber, der sich querab stampfend durch die Seen schob. Wie
Odi
n
fuhr auch sie ihre Rahen hart angebraßt, so daß die Segel eine hellere Pyramide bildeten, während der dunkle Rumpf noch mit dem Wasser verschmolz.
Zwei Schiffe und rund achthundert Offiziere, Matrosen und Soldaten, von einem einzigen Mann – ihm – in ein Gefecht auf Leben und Tod befohlen.
Bolitho blickte auf den Midshipman hinab. »Würden Sie lieber auf einer Fregatte fahren?«
Stirling dachte mit geschürzten Lippen darüber nach. »Lieber als anderswo, Sir.«
»Dann sollten Sie mal mit meinem Neffen sprechen, er…« Bolitho brach ab, weil Stirlings Augen plötzlich aufleuchteten.
Erst jetzt folgte, scheinbar eine halbe Ewigkeit später, der dumpfe Donner einer fernen Detonation. Ein Lichtschein zuckte am Himmel auf, dann wurde alles wieder von den Geräuschen der See und des Windes verschluckt.
»Herrgott, was war das?« Inch stürmte heran, als sei Bolitho ihm eine Antwort schuldig.
Der sagte leise: »Die Sprengladung ist hochgegangen, Kapitän Inch.«
»Aber…« Inch starrte ihm in der Dunkelheit ins Gesicht. »Aber das war doch viel zu früh?«
Bolitho wandte sich ab. Ob nun zu früh oder zu spät, Browne mußte jedenfalls gute Gründe für die Zündung gehabt haben.
Bolitho merkte, daß Allday an ihn herantrat, und hob den Arm, damit er den Säbel an seinen Gürtel schnallen konnte.
»Der beste, den ich auftreiben konnte, Sir«, erläuterte Allday.
»Nur um eine Kleinigkeit schwerer, als Sie es gewohnt sind.« Er deutete über Bord in die Dunkelheit. »War das Mr. Browne?«
»Ja. Er wußte vorher, daß er’s schaffen würde. Leider Gottes gab es keinen anderen Weg.«
Allday seufzte. »Ihm war bekannt, worauf er sich einließ, Sir.« Midshipman Stirling machte sich bemerkbar. »Es wird schon heller, Sir.«
Bolitho lächelte. »Das stimmt.« Dann wandte er dem Jungen den Rücken zu und sagte leise zu Allday: »Etwas muß ich dir unbedingt noch sagen…« Der Bootsführer zuckte zurück, als ahne er Bolithos Worte im voraus. »Falls – ich sage ausdrücklich ›falls‹ – ich heute fallen sollte…«
»Schauen Sie, Sir.« Mit gespreizten Händen unterstrich Allday jedes Wort. »Alles, was ich gesagt oder getan habe, seit wir auf dieses Schiff gekommen sind, hat nichts mehr zu bedeuten. Wir werden es so gesund überstehen wie immer, glauben Sie mir, Sir.«
»Aber für den Fall«, beharrte Bolitho, »daß es anders kommt, mußt du mir versprechen, daß du nie mehr zur See fahren wirst. Man wird dich in Falmouth nicht entbehren können. Kümmere dich dort um alles.« Er ignorierte Alldays verzweifelten Protest. »Gib mir bitte dein Wort darauf.«
Allday nickte trübe.
Bolitho zog seinen neuen Säbel aus der Scheide und führte einen Probehieb durch die Luft. In der Nähe stehende Matrosen und Seesoldaten, die es beobachtet hatten, stießen einander an, und einer brach in Hochrufe aus. »Wir werden es den Schweinehunden schon zeigen, Sir!«
Bolitho ließ den Arm sinken. »Jetzt bin ich bereit, Allday«, sagte er.
Kapitän Inch legte die hohlen Hände um den Mund und rief: »Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Graham!«
»Achterdeckswache – an die Besanbrassen!«
Als
Odi
n
über Stag ging und sich dann wieder hoch am Wind der See entgegenwarf, stand Bolitho mitten im Gewühl und fühlte sich doch seltsam distanziert von allen.
Fröhlich meldete Inch: »Noch immer nichts zu sehen von den Franzosen, Sir!«
Bolitho blickte zu den angebraßten Rahen und den eisenharten Segeln hinauf, hinter denen der Himmel schon heller wurde.
»Die werden schon noch kommen.« Sein Blick fiel auf die Admiralsflagge, die – im grauen Licht noch farblos – steif vom Besanmasttopp auswehte. »Machen Sie eine zweite Flagge klar zum Heißen, Mr. Stirling«, befahl er und stellte fest, daß er tatsächlich zu Inch hinüberlächeln konnte. »Rémond soll wissen,
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