Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
ihm ins Auge fiel, wobei er sich alle Geschlechtskrankheiten zuziehen konnte, die Julia bisher erspart geblieben waren.
Die ersten Jahre nach der Scheidung waren jämmerlicher, als sie sich hätte vorstellen können. Julia stammte aus gutem Hause, doch als die Ölbranche in den Achtzigern zusammenbrach, war ihr Vater aus dem Geschäft und beendete seine ziel- und erfolglose Arbeitssuche mit einer Kugel in den Kopf. Nach der Scheidung war sie überwiegend auf sich allein gestellt. Sie arbeitete als Kellnerin und an einer Registrierkasse, beim Einparkservice auf Partys und verkaufte Kosmetika an Frauen, die in einer Woche mehr für Gesichtscreme ausgaben, als Julia in einem Monat an Miete zahlte. Meistens machte sie einen Bogen um Männer und sah zu, wie ihre Freundinnen, die in Natchez geblieben waren, den Umgang mit dem anderen Geschlecht auf jede erdenkliche Art vermasselten. Wenn Julia Gesellschaft brauchte, wählte sie ältere Männer – verheiratete, die sich keine Illusionen machten. Im Übrigen wartete sie ab.
Dann war sie Tim Jessup begegnet – oder wieder begegnet. Natürlich kannte sie ihn noch aus der Schule, aber sie hatte sich nie mit ihm verabredet, denn er war drei Jahrgänge über ihr gewesen. Damals war er einer der großspurigen Typen gewesen, die dachten, dass das gute Leben wie ein vom Schicksal ausgebreiteter roter Teppich vor ihnen lag. Doch bald nach der Highschool wurde er eines Besseren belehrt.
Julia hatte kaum noch an Tim gedacht, jedenfalls nicht, bis sie eines Abends den Auftrag erhielt, Hors d’œuvres auf dem Casinoschiff zu servieren. Tim hatte sie von seinem Blackjack-Tisch aus beobachtet und dann nach Feierabend auf sie gewartet. Sie frühstückten im Waffle House, unterhielten sich über die gute alte Zeit in St. Stephen’s und dann, überraschenderweise, auch über die weniger guten Zeiten, die seither den größten Teil ihres Lebens ausgefüllt hatten. Am Ende jener Nacht wusste Julia, dass Tim der Mann sein konnte, auf den sie gewartet hatte. Es gab nur einen Haken: Er hatte ein Drogenproblem.
Sie konnte es an seinen Augen und an der Zappeligkeit erkennen, die immer schlimmer wurde, bis er zur Toilette ging und mit einem Ausdruck der Gelassenheit zurückkehrte. Aber dann entwaffnete er sie, indem er ihr sein Problem gestand, gleich in jener ersten Nacht. Danach hatten sie sich häufig getroffen, und innerhalb eines Monats hatte Julia sich selbst ein Versprechen gegeben: Wenn sie es schaffte, dass Tim clean wurde, wollte sie das Risiko eingehen und es mit ihm versuchen. Zu ihrer großen Überraschung hatte sie Erfolg. Nichts in ihrem Leben war aufreibender gewesen, aber sie hatte sich mit allen Kräften bemüht, Tim wieder zu Nüchternheit zu verhelfen.
Die Ergebnisse waren großartig. Tim gab seinen Posten auf dem Schiff auf, das seine Junkiefreunde besuchten, heuerte bei der neuen Firma an und arbeitete jede Schicht, die ihm auf der Magnolia Queen angeboten wurde. Er hatte sogar seinen Vater dazu überredet, ihm einen Kredit für ein kleines Haus zu gewähren, und in seiner Freizeit setzte er es persönlich instand, wobei er sägte und hämmerte wie ein geborener Zimmermann, nicht wie der privilegierte Sohn eines Chirurgen. Julia riss den fleckigen Teppich der früheren Besitzer heraus, reparierte das Hartholz darunter und kachelte das Badezimmer. Julias Schwangerschaft behielten beide für sich. Dies war ein Schatz, an dem sie sich in der Geborgenheit des sich wandelnden Hauses erfreuen konnten, bis sie der Normalität so nahe waren, dass niemand die Augen verdrehte, wenn sie das Geheimnis preisgaben.
Als Julias Schwangerschaft sichtbar wurde, hatte die neue Wahrnehmung bereits eingesetzt. Sogar Tims Vater hatte sich, auf seine Art, für Julia erwärmt. An manchen Tagen, früh am Morgen oder spät am Abend, sah sie seinen silbernen Mercedes auf der Straße vor dem Haus vorbeigleiten, und sie wusste, dass er sich vom Fortschritt seines Sohnes überzeugte. Als das Baby schließlich geboren wurde, war die Umwandlung geschafft. Sie konnte kaum glauben, dass dies ihr neues Leben war, das sie durch die schiere Kraft ihres Willens und ihres Glaubens an sich selbst und ihren Mann hervorgebracht hatte. Aber es war ihr gelungen.
Wenn nur Tims Entwicklung dort geendet hätte …
Während er langsam die Orientierung zurückgewann, die er in seinen frühen Zwanzigern verloren hatte, machte er so etwas wie einen emotionalen Fallout durch. Sein Gedächtnis, das in den verlorenen
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