Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
kann, sollte eine Katastrophe das Haus heimsuchen.
Tatsache ist, dass Caitlin und ich in sechs der vergangenen sieben Jahre als Paar zusammenlebten. Da ihr ein Haus mir gegenüber gehörte, auf der anderen Straßenseite, konnten wir den Schein wahren, keine »wilde Ehe« zu führen – eine Bezeichnung, die die Menschen hier immer noch verwenden, und durchaus ernst gemeint. Caitlin blieb oft über Nacht, wenn Annie zu Hause war, doch da sie früh aufsteht, saß sie gewöhnlich schon an ihrem Arbeitsplatz, bevor Annie zur Schule aufbrach. Wenn ich mich jetzt an diese Tage erinnere, spüre ich einen Kloß im Hals. Es ist zu lange her, dass ich eine so entspannte Privatsphäre besaß, und ich weiß, dass auch Annie sie vermisst.
Während Caitlin und ich zusammen waren, dachten wir häufig an Heirat. Zu Anfang, als wir noch glaubten, das Schicksal hätte uns zueinander geführt, hielten wir es für selbstverständlich. Wir begegneten uns zur Zeit eines Bürgerrechtsfalles, der mich nach meiner Rückkehr nach Natchez voll und ganz beanspruchte, und noch bevor die Verhandlung endete, entdeckten wir, dass wir trotz unseres Altersunterschieds von zehn Jahren und unserer scheinbaren Andersartigkeit so unzertrennlich wie Geschwister geworden waren. Die einzige Spannung kam später auf, als Caitlin es nicht mehr als reizvoll, sondern als einengend empfand, in einem kleinen Ort in den Südstaaten zu wohnen und zu arbeiten. Sie wurde für die große Perspektive geboren und erzogen (ihre Berichterstattung über unseren Fall brachte ihr mit achtundzwanzig Jahren einen Pulitzerpreis ein), und obwohl sich in Natchez manchmal tödliche Dramen abspielen, ist es im Grunde ein ruhiges Flussstädtchen, das sich nur unmerklich verändert, falls überhaupt.
Erst meine Entscheidung, für das Bürgermeisteramt zu kandidieren, ließ unsere Gegensätze hervortreten und machte die Beziehung letztlich unhaltbar. Ohne je im Süden gelebt zu haben, war Caitlin als Liberale nach Natchez gekommen, aber nach fünf Jahren hatte sie rassistischere Ideen entwickelt als viele der »Good ol’ Boys«, unter denen ich aufgewachsen war, und es drängte sie weiterzuziehen. Unsere wichtigsten Streitpunkte waren a) ob die Stadt der Rettung wert war, und b) wenn ja, ob ich zu ihrem Retter taugte. Caitlin vertrat die Ansicht, dass Menschen die politische Führung erhalten, die sie verdienen, und dass Natchez mich nicht verdiente. Sie hingegen hatte mich verdient, wie sie glaubte; außerdem habe Annie Anspruch auf eine kulturell vielfältigere Kindheit, als in Natchez möglich. Kurz, Caitlin wollte, dass ich meine Vergangenheit hinter mir ließ.
Aber wahre Südstaatler sind dazu nicht fähig. Am Ende folgte ich meinem Gewissen und meiner Herkunft, sodass meine künftige Ehe das erste Opfer meiner Bürgermeisterkampagne wurde. Caitlin weinte – nicht weniger um Annie als um uns beide –, wünschte mir alles Gute und kehrte nach North Carolina zurück, in den Neuen Süden der gläsernen Bürotürme, der Boutique-Restaurants und des Forschungsdreiecks. Ich blieb im Land der Kudzu-Pflanzen, der dorischen Säulen und der Bottleneck-Gitarren.
Ich blicke immer noch zu dem Haus hinüber. Es lässt sich nicht leugnen, dass im oberen Zimmer ein sanftes Licht durch den Vorhang schimmert. Aber wenn Caitlin nach Natchez zurückgekehrt ist, dann höchstwahrscheinlich wegen dem Ballonfestival. Trotzdem könnte etwas anderes für ihre unerwartete Ankunft verantwortlich sein, und es lohnt sich, darüber nachzudenken. Vor zehn Tagen habe ich nach fast einem Jahr meine Beziehung zu Libby Jensen beendet. Haben zehn Tage ausgereicht, um diese Nachricht bis nach North Carolina vordringen zu lassen? Selbstverständlich. Die E-Mail eines geschwätzigen Examiner -Angestellten hätte genügt, und eine SMS wäre genauso schnell gewesen. Wenn Caitlin zurückgekehrt ist, scheint ihr Timing bedeutungsvoll zu sein.
Die Casino-Akte unter meinem Hemd ist bereits feucht geworden, als ich die Veranda hinaufsteige und die Hand nach der Haustür ausstrecke. Bevor ich den Griff berühre, öffnet die Tür sich überraschend mit einem Quietschen, und die begabte Zehntklässlerin, die auf Annie aufpasst, lässt sich unsicher durch den Spalt vernehmen.
»Mr. Cage? Alles in Ordnung?«
Nach meinen Erfahrungen mit Mia Burke, der Oberstufenschülerin, die sich früher um Annie gekümmert hat, erlaube ich Babysitterinnen nicht mehr, mich beim Vornamen zu nennen. »Alles ist bestens, Carla. Und
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