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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Jahren Vieles blockiert hatte, begann die Lücken zu füllen, und er wurde von Schuldbewusstsein und Bedauern übermannt. Tim entdeckte Gott wieder, was akzeptabel gewesen wäre, hätte er nicht wie ein Konvertit gehandelt, der eifriger war als die in den Glauben Hineingeborenen. Er sah nur Schwarz und Weiß, und trotz seiner eigenen Vergangenheit verurteilte er alle, die seinem Begriff von ethischer Verantwortung nicht gerecht wurden. Er verdammte niemanden wegen normaler menschlicher Verfehlungen, war aber besessen von den großen Dingen im Leben. Von der Politik, der organisierten Religion, den Diamantenmaklern in Sierra Leone, den hungernden Kindern im Sudan, den guten Muslimen im Irak, den ungebildeten Schwarzen hier in Mississippi.
    Und dann geschah es. Was genau es war, wusste Julia nicht. Aber es hatte mit seiner Arbeit zu tun. Tim war Zeuge eines schrecklichen Ereignisses geworden, oder er hatte zufällig etwas Grässliches mit angehört, und seit jenem Abend war er zum Fanatiker geworden. Mit jeder Woche wurde er distanzierter und reizbarer, bis Julia fürchtete, dass er wieder Drogen nahm. Aber das war nicht der Fall. Anscheinend hatte Tim etwas entdeckt, das ihn über alle Maßen empörte, weshalb er selbst das Unrecht wiedergutmachen wollte. Das verängstigte Julia, denn Tim eignete sich nicht zu so etwas. Er war gewitzt und gutmütig, aber nicht abgebrüht wie ihr erster Mann. Tim machte sich Illusionen über die Menschen; er wünschte sich, dass sie besser wurden, und wer so dachte, konnte nicht gegen das Böse kämpfen. Jedenfalls konnte er nicht siegen. Julia hatte genug erlebt, um das zu wissen.
    Das Einzige, was sie ein wenig getröstet hatte, war Tims Versicherung, dass Penn Cage ihm helfen werde. Julia kannte Penn ebenfalls von der Highschool. Sie hatte ihn sogar einmal geküsst, neben einem Auto eines Abends auf einer Oberstufenparty, in die sie sich mit einer Freundin eingeschlichen hatte. Penn Cage hatte kaum etwas mit Tim gemein. Er war weder furchtsam noch unschlüssig; er traf Entscheidungen, von denen er sich nicht abbringen ließ, und er hatte im Leben Erfolg gehabt. Nicht, dass er kein Leid durchgemacht hätte – seine Frau war an Krebs gestorben –, aber jeder musste auf die eine oder andere Weise für das bezahlen, was er bekam. Einfach nur dafür, am Leben zu sein.
    Und das, vermutete Julia, war Tims Ziel: Er wollte einen Ausgleich für all die Jahre, die er verschwendet hatte, für all die Dinge, die er hätte erreichen können. Sie wusste, dass er es nicht ihretwegen tat, was sie erleichterte und zugleich verletzte. Denn sie hatte getan, was sie konnte, um Tim zu beweisen, dass er ihr nichts schuldete – außer der Zeit, die er ihr und dem Baby schenken konnte. Aber das genügte Tim nicht. Seine Besessenheit wurzelte in der Beziehung zu seinem Vater. Er meinte, nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Dad verraten zu haben, und irgendetwas trieb ihn an, den Beweis zu erbringen, dass er der Sohn war, den sein Vater sich erträumt hatte.
    Und nun hofft Julia, dass Tim sie nicht belogen hat, was Penn betrifft, um sie zu beruhigen, und dass er nicht sonst wohin gefahren ist, um das Recht zu erwerben, wieder mit sich zufrieden zu sein. Also wartet sie, betrachtet ihr Baby und betet, dass jemand ihrem Mann das Kreuz abnimmt und es für ihn trägt. Denn im tiefsten Innern ist Julia überzeugt, dass Tim, wenn er allein handelt, sterben wird, bevor er die ersehnte Erlösung findet.

5
    W ahrscheinlich hätte ich direkt vom Friedhof nach Hause fahren sollen, doch wie Tim vorausgesagt hat, kann ich seine schrecklichen Bilder nicht verdrängen. Also fahre ich die Linton Avenue hinauf, biege in die Madison Street ab und fahre langsam an dem Zeitungsgebäude vorbei, in dem meine frühere Geliebte als Verlegerin gearbeitet hat. Solange Caitlin Masters sich in Natchez aufhielt, wurde alles, was sie über die Stadt enthüllen konnte, von der Zeitung gedruckt. Nun aber scheint das Feuer des Enthüllungsjournalismus in den Mitarbeitern fast erloschen zu sein, obwohl der Examiner immer noch Caitlins Vater gehört. Würde Caitlin noch hier wohnen, wären die Gerüchte über Hundekämpfe und dergleichen, die Tim heute Nacht untermauert hat, wohl nicht mehr weit von der Titelseite entfernt.
    Ich biege in die State Street ein. Während ich mich der City Hall nähere, halte ich Ausschau nach einem Verfolger. Der Polizist auf dem Friedhof war leicht abzuschütteln, aber ich bin mir nicht sicher, dass er

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