Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
wie eine Abschiedsszene aussieht. Sie sollen denken, dass ich Tag und Nacht nur ein paar Schritte von dir entfernt bin.«
»Tut mir leid.«
Kelly lacht leise, während ich zu ihm aufschließe. »Das war ein gutes Gefühl, was?«
In meinem Innern löste sich nun auch die letzte Spannung. »Ich muss gestehen, Quinn mit dem Messer an der Kehle auf dem Fußboden zu sehen war besser als meine größten Momente im Gerichtssaal. Wie hast du das Messer reingeschmuggelt?«
»Feuerstein wird auf den Scannern nicht angezeigt. Kein Metall.«
»Wo war es versteckt?«
»In meinem Kreuz, in der Grube über dem Rückgrat.«
»Ein Feuersteinmesser«, staune ich. »Die Waffe eines Höhlenmenschen.«
Kelly betrachtet mich ernst. »Denk an das, was ich Caitlin gestern Abend gesagt habe. Wir sind immer noch in der Höhle. Sie ist jetzt bloß größer.« Er klopft mir auf die Schulter. »Heute kannst du mit deinem Töchterchen zu Abend essen. Lass uns zum Flugplatz fahren.«
37
L inda Church kauert nackt und zitternd in der Ecke des Hundezwingers und betet um Erlösung zu einem Gott, dem sie fast nicht mehr vertrauen kann. Sie trägt ein Hundehalsband, von dem eine schwere Kette zu einem im Beton verankerten Stahlpfosten führt. Der Zwinger ist ein langes, niedriges Gebäude mit Blechdach, das sich unter einem hohen Schuppen verbirgt und aus der Luft nicht entdeckt werden kann. Die beiden Reihen absperrbarer Boxen sind aus Maschendraht, und an einem Ende liegen ein Büro und ein Lagerraum aus Sperrholz. In Lindas Box gibt es ein vergittertes Fenster, doch sie wagt nicht auszubrechen. Denn der Zwinger ist von einem hohen Zaun umschlossen, und ein halbes Dutzend ausgehungerter Pitbulls streift zwischen der Außenwand und dem Zaun umher.
Deshalb kann Quinn sie hier unbesorgt allein lassen. Selbst wenn Linda sich irgendwie der Kette entledigen könnte, hätte sie keine Möglichkeit, aus dem Zwinger zu fliehen. Aber ihr fehlt ohnehin die Kraft für solche Anstrengungen.
Wenn jemand dir wehtut und du ihn vergeblich anflehst aufzuhören, dann zerbricht etwas in deinem Innern. Linda hat das in sehr jungen Jahren erfahren, und einen großen Teil ihres Lebens hat sie immer wieder versucht, diesem Gefühl zu entgehen, damit der Bruch heilen kann. Tim war der Erste, der ihr wirklich dabei half, und Quinn hat ihn ermordet, wie er bereits zugab. Als Quinn sie zum ersten Mal im Zwinger vergewaltigt hat, beschrieb er Tims letzte Minuten, sein verzweifeltes Bemühen, die Verfolger glauben zu machen, er habe einen Autounfall gehabt, und seine Flucht in die Wälder bei der Devil’s Punchbowl. Aber Tim hatte nicht mit Sands’ Hund gerechnet. Der Bully Kutta hatten ihn innerhalb von Minuten eingeholt und war über ihn hergefallen, bevor die Männer ihn zurückzerren konnten.
Linda schließt die Augen und versucht, nicht an die letzte Nacht zu denken, aber das ist unmöglich. Neben ihrem entzündeten Bein und dem Kniebandriss hat sie sich eine Harnwegsentzündung zugezogen. Der Schmerz beim Pinkeln ist fast unerträglich, wie eine Rasierklinge in ihrer Harnröhre, und sie zittert noch zwei oder drei Minuten, nachdem sie fertig ist. Linda hat aufgehört, Wasser zu trinken, um nicht noch mehr Schmerz ertragen zu müssen, doch dadurch ist es nur umso schlimmer geworden. Sie kann nicht verstehen, weshalb ein Mann Sex mit einer Frau in ihrem Zustand haben möchte, aber Quinn will es. Vielleicht erregt der Schmerz ihn; vielleicht ist das der Zweck der Übung.
Sie hat so lange geweint, bis keine Tränen mehr kamen. Denn sie hatte inständig daran geglaubt, dass ihre Flucht vom Motorboot der göttlichen Vorsehung zu verdanken war und dass sie zum Lohn für ihren Mut frei sein würde. Ihr Mut war im Grunde die Bereitschaft gewesen, den Tod zu akzeptieren, falls nötig. Diesen Schritt zu machen und dann ausgerechnet von einem Diener Gottes – oder einem, der sich als Diener Gottes ausgab – verraten zu werden, hat Linda zerbrochen. Sie fühlt sich wertlos, dem Untergang geweiht. Wie sich ein Messdiener fühlen muss, wenn er begreift, dass der Priester, der ihn benutzt, ihn nicht liebt, sondern ihn nur als Mittel zum Zweck missbraucht.
Linda hat sich nie wirklich den Tod gewünscht, obwohl sie schwere Zeiten durchgemacht hat. Sie kannte Mädchen, die Selbstmord begangen haben, aber sie konnte nie glauben, dass die Opfer keine andere Wahl gehabt hätten, wäre ihre Suche nur gründlich genug gewesen. Aber hier, an diesem Ort, hat sie keine Hoffnung,
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