Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
nichts anderes übrig. Sie wissen nicht, was wir unternehmen werden, und sie müssen in der Lage sein, schnell zu reagieren. Wir sollten nicht das geringste Risiko eingehen.«
»Suchen wir immer noch nach Hunden?«
»Ich denke schon. Du nicht?«
»Doch«, erwidert Kelly müde. »Aber ich habe allmählich den Eindruck, dass es in Louisiana mehr Hunde als Menschen gibt.«
»Die nächste Meute, die du entdeckst, könnte Caitlin bewachen.«
»Oh, ich bleib dran. Ich werde das Mädchen finden. Wenn ich mir vorstelle, dass diese Scheißkerle sie irgendwo zusammengeschnürt haben.«
»Kelly …«
»Entschuldige. Los, Major. Fliegen wir zurück nach Norden.«
McDavitt legt den Helikopter in eine langgezogene Kehre, und mein Magen überschlägt sich erneut.
58
W alt Garrity steht am Rand einer Menge, die so aussieht, wie sich ein New Yorker Filmregisseur einen Lynchmob in den Südstaaten vorstellen mag. Unter dem Dach einer baufälligen Scheune haben sich zwei Dutzend Menschen am Rand einer flachen Grube versammelt, um zu erleben, wie zwei Hunde versuchen, einander zu zerfleischen. Jungen von acht oder zehn Jahren rangeln hinter den Erwachsenen und wühlen sich einen Weg nach vorn. Die Männer tragen Tarnkleidung oder Latzhosen, die Frauen T-Shirts und Neckholder, was nur wegen der Propanheizer hinter ihnen auszuhalten ist. Zwei schlampige Frauen haben sich Babys über die Hüften gehängt, und ein Mann von mindestens neunzig Jahren sitzt in einem Rollstuhl an der Seite der Grube, anscheinend auf einem Ehrenplatz.
Die Gesichter der Leute zeigen genau den Ausdruck, wie Walt ihn auf Fotos von Lynchprozessen gesehen hat. Den Frauen stehen die Augen vor Verzückung hervor; sie sind fasziniert, wenn nicht gar erregt von dem urzeitlichen Schauspiel. Die Männer wirken grimmig, jedoch hingerissen – berauscht durch die Flut von Testosteron, die der Anblick von Blut und Kampf ausgelöst hat. Sie beobachten die Schlacht mit völliger Hingabe, geben hin und wieder Kommentare ab, schreien vor Wut oder Triumph, wenn der Kampf eine neue Wendung nimmt, und ändern ihre Wetten je nach den Geschicken des von ihnen gewählten Hundes. Die beiden Pitbulls – ein Schecke namens Genghis und ein Schwarzer namens Mike – sind seit fast einer Stunde in der Grube. Ihre Betreuer treiben sie verbissen an, doch wirklicher Schaden wurde erst vor ein paar Minuten angerichtet, als Genghis seine Fänge in Mikes Brust trieb und versuchte, dessen Vorderbein abzureißen.
Ming, die an Walts Seite steht, bewegt sich nicht. Sie schaut nach vorn, als verfolge sie den Kampf, kann wegen der wogenden Menge vor ihr aber nur flüchtige Blicke auf das Geschehen erhaschen. Als Walt und sie eingetroffen waren – in einer Limousine, die von einem der Türsteher des Casinos chauffiert wurde –, hatten die Anwesenden Ming in ihrem seidenen Kimono begafft, als wäre sie ein übernatürliches Wesen. Die Frauen reagierten wie Katzen, die ihr Revier verteidigen, und bleckten geradezu die Zähne beim Erscheinen der fremdartigen Schönheit. Ming erwiderte ihre Blicke wie eine Prinzessin, die auf ihre Untertanen hinunterschaut. Sie wartete, bis Walt sie an eine ihm genehme Stelle führte. Es war ihr Altersunterschied, der die Spannung nachlassen ließ. Nachdem die Menge begriffen hatte, dass Ming mit Walt zusammen war und für den Abend als gemietete Begleiterin diente, wurde sie rasch als Hure eingestuft, und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein. Walt wählte eine Stelle, die nahe genug an der Grube war, um den Eindruck zu vermitteln, dass er den Kampf tatsächlich sehen wollte, doch so weit entfernt, dass ihm kein Blut auf die Kleidung spritzen konnte.
Er hat seit fünfzehn Jahren keinen Hundekampf erlebt und gehofft, dass es nie wieder der Fall sein würde. Die Popularität dieser Kämpfe hatte in Texas während seiner Dienstzeit als Ranger geschwankt, doch es gab stets einen Kern fanatischer Züchter, die Jahr um Jahr weitermachten, sodass die Ranger bei ihren Einsätzen hin und wieder auf Hundekämpfe stießen. Zweimal in seiner Laufbahn hatte Walt Kämpfe gestoppt, die bereits in vollem Gange gewesen waren. Chaotischere Fluchtszenen konnte man sich kaum vorstellen. Während die in Panik geratenen Zuschauer zu ihren Pick-ups oder Pkws rannten – manchmal sogar zu ihren Pferden –, schnappten sich die Trainer ihre Hunde, ließen ihre Fahrzeuge zurück und versteckten sich im Wald. Doch die Auswirkungen solcher Einsätze waren immer gleich: Wenn Walt
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