Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
einen Trainer oder Besitzer in seiner Unterkunft aufgespürt hatte, fand er angekettete Hunde in einem derart kläglichen Zustand vor, dass er den Besitzer am liebsten gefesselt und die Hunde dann ins Haus gelassen hätte. Einmal hatte er sich diesen Wunsch tatsächlich erfüllt, wenn auch nur für eine halbe Stunde, als er auf die County Police und die Hundefänger gewartet hatte. Er hatte gehofft, dass der Besitzer nach dieser Erfahrung Mitgefühl für seine Tiere aufbringen würde, aber dazu kam es nicht. Ein Jahr später war der Mann bei einer Auseinandersetzung während eines Hundekampfes neben der Arena erstochen worden.
»Dir gefällt Kampf?«, fragt Ming, die sich auf die Zehenspitzen gestellt hat, um Walt ins Ohr zu sprechen und die johlende Meute zu übertönen.
»Nicht besonders.« Walt wird klar, dass er den Hunden kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat, seit sie wie Kugeln aus ihren Ecken geschossen sind. »Das hier ist die zweite Liga«, erklärt er wahrheitsgemäß.
»Zweite Liga?« Ming ist offensichtlich verwirrt.
»Amateure. Ich kann nicht glauben, dass sie uns zu diesem Drecksloch geschickt haben.«
Mings Augen verengen sich vor Besorgnis. »Gefällt dir nicht?«
»Nein. Die Hunde passen nicht zueinander. Der Schecke ist ein paar Kilo schwerer als der Schwarze.«
»Willst du näher? Ich führe in erste Reihe.«
»Schon in Ordnung, Honey.« Walt wird bewusst, dass Ming von der Szene offenbar nicht so angewidert ist wie er. »Hast du Spaß?«
Die junge Frau zuckt die Achseln. »Mag Leute nicht.«
Ihr warmer Atem an seiner Ohrmuschel lässt sein Herz pochen.
»Möchtest du wegfahren?«
Ming hebt die Schultern, lächelt und streicht mit dem Finger über seinen Unterarm. »Möchte, was du willst, Zhaybee.«
Walt überlegt. Er weiß, dass er nicht so klar denkt, wie es nötig wäre. Er müsste sich unter die Menge mischen, um Hinweise auf Caitlin Masters’ Verbleib zu finden, doch er ist neben Ming stehen geblieben wie der reiche alte Sack, für den er sich ausgibt. Nicht der Hundekampf bringt ihn durcheinander, sondern das Mädchen. Aber das spielt heute Abend keine Rolle; sein Instinkt verrät Walt, dass er hier keine Anhaltspunkte finden wird.
Sands stellt mich auf die Probe, überlegt er. So sortieren sie künftige Zuschauer aus. Ein hastig organisierter Hundekampf wie dieser würde nur Leute anziehen, denen der Sinn nach etwas Primitivem steht. Kein Rap-Star, NFL -Spieler, arabischer Prinz oder chinesischer Milliardär würde auch nur fünf Minuten in dieser armseligen Ansammlung käsebleicher, Tabak kauernder Hinterwäldler verbringen, die immer noch über die »supergeile« Schwein-gegen-Hund-Show reden, die diesem Kampf vorausging.
Wer beobachtet mich?, überlegt Walt. Jemand im Raum dürfte ihn in diesem Moment mustern und seine Reaktionen abschätzen. Einer der Männer auf der gegenüberliegenden Seite der Menge wahrscheinlich. Doch sogar Ming könnte die Spionin sein. Sands oder Quinn könnten sie später befragen und ihr jedes Detail über sein Verhalten während des Kampfes entlocken. Walt muss dafür sorgen, dass Ming ihnen nichts erzählen kann, was Argwohn erregen könnte.
»Soll ich Fahrer rufen?«, fragt Ming.
Walt stellt sich auf die Zehenspitzen, als würde seine Entscheidung von den Geschehnissen in der Grube abhängen. Genghis, der Schecke, hat sich immer noch in den Vorderlauf des Schwarzen verbissen, und Mike hat eine Menge Blut verloren, sodass der Boden der Arena klebrig ist. Mikes Trainer wirkt beunruhigt, und Walt spürt, dass Genghis versuchen wird, seinen Gegner an der Kehle zu packen.
»Ich würde wirklich lieber auf der Queen sein als in diesem Rattenloch.«
Ming nimmt seine schwielige Hand in ihre zarten Finger und blickt mit glänzenden Augen zu ihm auf. »Oder vielleicht in Hotelzimmer?«
Walt schluckt heftig und versucht zu verbergen, wie sehr er sich danach sehnt, mit ihr allein zu sein. Ming holt ein Mobiltelefon aus ihrer winzigen Handtasche, drückt auf eine Taste und legt einen Finger ans andere Ohr. Ihr Fahrer hat ihnen erklärt, er könne nicht draußen warten, da man immer mit einer zufälligen Razzia rechnen müsse. In einer solchen Situation sollten sie in den nahen Wald laufen, warten, bis die Polizei verschwunden sei, und ihn dann über Mings Handy anrufen. Da sie weit draußen am Wald sind, vermutet Walt, dass die Limousine mindestens zwanzig Minuten entfernt sein muss.
Ming erhebt sich erneut auf Zehenspitzen, und Walt beugt sich nieder.
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