Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
unweit vom Duncan Park, war fast niedergebrannt, als die Feuerwehr eintraf. Chief Logan zufolge hat der Feuerwehrchef nicht den geringsten Zweifel daran, dass es sich um Brandstiftung handelte. Das Haus muss mit Brandbeschleunigern gefüllt gewesen sein, da es so rasch in Flammen aufging.
Im dunstigen blauen Licht der Morgendämmerung steigt immer noch Rauch von dem verkohlten Holz unter den Ziegelpfosten auf, die das Gebäude gestützt haben. Es ist 6.15 Uhr, doch die älteren Leute aus der Gegend sind bereits aufgestanden, um ihre Zeitung zu holen oder ihre Hunde spazieren zu führen. Ein paar haben sich dem Haus genähert, um sich die Ruine anzuschauen. Ein Mann stocherte sogar in den Trümmern herum, als suche er nach Souvenirs, bis ich ihn fortjagte.
Ich bin hier, weil ich während der Nacht im Halbschlaf die einzige wirkliche Erleuchtung dieses Falles hatte. Mir ist unverständlich, warum es mir nicht früher einfiel – wahrscheinlich, weil ich mich so sehr auf den gestohlenen USB -Stick konzentriert habe, aber vielleicht auch, weil die Anspannung, die Caitlins Entführung ausgelöst hatte, meine Gedanken lahmlegte. Nach ihrer Rückkehr gestern Abend muss der Stress nachgelassen haben, denn eine Kette logischer Gedanken stieg so mühelos aus meinem Unterbewusstsein auf, wie Bläschen an eine Seeoberfläche sprudeln.
Jonathan Sands hatte Ben Li angestellt, weil er Computerfachmann war. Tim Jessup glaubte, Li habe sich eine Art »Versicherung« zugelegt: vermutlich brisante Daten, um sich vor seinen Arbeitgebern zu schützen. Als ich Tims Worte zum ersten Mal hörte – auf der Sprachaufzeichnung, die er vor seinem Tod anfertigte –, nahm ich an, dass Li solche Daten auf irgendeinem fernen Digitalserver versteckt habe, zu dem nur er selbst oder jemand, der das Passwort besaß, Zugang hatte. Außerdem setzte ich voraus, dass Lis Ratschlag, »die Vögel zu fragen«, auf ein Passwort hindeutete. Und da Ben Li Kakadus hielt, war es möglich, dass sie die erforderliche Wendung oder die nötigen Ziffern aussprechen konnten. Sands und Quinn dürften zu dem gleichen Schluss gelangt sein. Aber wenn die Vögel das Passwort aussprechen konnten, taten sie es nicht für Sands. Andernfalls hätte er darauf verzichtet, Ben Lis Haus in Brand zu setzen.
Wichtiger war, dass Caitlin mir gestern Nacht, zwischen Phasen unruhigen Schlafes, einiges über ihre Gefangenschaft mit Linda Church erzählt hat. Während der Vergewaltigungen und Beschimpfungen, denen Linda ausgesetzt war, hatte Quinn sie immer wieder nach einem einzigen Thema befragt: nach Ben Lis Vögeln. Als Li im Vernehmungszimmer unter dem Deck der Magnolia Queen gefoltert wurde, hatten Sands und Quinn ihm eine Information darüber zu entlocken versucht, ob er etwas Belastendes außerhalb des Schiffes gelagert habe. Li, noch unter dem Einfluss von Drogen und halb im Delirium, plapperte so etwas wie: »Die Vögel wissen es! Fragt die Vögel!«
Ich bin nicht zu Ben Lis Haus gefahren, weil ich sein Passwort geknackt hätte, sondern weil ich glaube, dass es kein Passwort gibt. Und es hat nie eines gegeben. Ein Computergenie muss gewusst haben, dass jede Bewegung durch den Cyberspace so deutliche digitale Fußabdrücke hinterlässt, als gehe jemand durch den Schnee. Und Li konnte nicht sicher sein, dass er das einzige Computergenie war, das für Sands arbeitete. Wenn Ben Li belastende Daten benötigte, um sich vor seinen kriminellen Arbeitgebern zu schützen, hätte er sie in der Nähe haben wollen, um sich zu beruhigen, wenn er nervös wurde, und wahrscheinlich auch, um neues Material hinzuzufügen, sobald er dessen habhaft wurde. Als Staatsanwalt hatte ich ein solches Verhalten immer wieder beobachten können. Es ist ein menschlicher Urinstinkt, Geheimnisse zu horten.
Jonathan Sands muss gestern zu dem gleichen Schluss gekommen sein und beschlossen haben, eine Politik der verbrannten Erde zu betreiben, als er die Daten nicht entdecken konnte. Aber warum setzte er voraus, dass Lis Versicherungspolice im Innern des Hauses aufbewahrt wurde? Li hätte sie beispielsweise auch vergraben können. Ich kann mich gar nicht mehr an all die zerstörten Verstecke für Schmuggelware und Beweismaterial erinnern, die ich als stellvertretender Bezirksstaatsanwalt zu Gesicht bekam. Dokumente, Fotos, Bargeld, Drogen, blutige Kleidung, Körperteile – wirklich alles Erdenkliche.
Und deshalb stand ich, während die Sonne aufging, hier zwischen den rauchenden Trümmern, um mich
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