Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Enthusiasmus für die Bürger anzureichern, die diese Reportage zu Hause sehen werden.
»Kritiker haben behauptet, die Ballonfahrer könnten nirgendwo unterkommen, weil die Hotels gefüllt sind«, erkläre ich, »aber Dutzende Familien haben großzügig ihre Türen geöffnet, damit das Fest stattfinden kann. Für die Hilfsmannschaften haben sich mehr Freiwillige gemeldet als je zuvor. Heute Abend konnte ich beobachten, wie viel Energie eingesetzt wird, und ich glaube, die Ereignisse werden unseren Optimismus rechtfertigen. Nach der Tragödie sollten wir uns auf die Gegenwart konzentrieren, denn darin liegt die Zukunft. Vielen Dank.«
Ich will aus dem Scheinwerferlicht hinaustreten, doch plötzlich ertönt eine ruhige weibliche Stimme ohne Akzent aus der Dunkelheit und lässt mich erstarren.
»Herr Bürgermeister, einige Flüchtlinge behaupten, noch nicht die Fürsorgeschecks erhalten zu haben, die die Bundesregierung ihnen versprochen hat. Könnten Sie dazu einen Kommentar für unsere Leser abgeben?«
Caitlin. Sie ist hier.
Ich schirme die Augen vor dem Gleißen ab. »Welche Zeitung vertreten Sie?«, frage ich unschuldig.
»Den Natchez Examiner «, erwidert Caitlin mit kaum merklicher Ironie. »Caitlin Masters.«
»Ah, Miss Masters! Ich begrüße Sie zu Ihrer Rückkehr nach Natchez. Nun, was die Fürsorgeschecks angeht, so handelt es sich um ein Bundesproblem außerhalb meiner Zuständigkeit. Könnte jemand bitte das Licht ausschalten?«
»Was hat es mit dem Vorwurf von zwei Ihrer Ratsherren auf sich?«, fährt Caitlin fort. »Es soll eine Menge betrügerischer Fürsorgeanträge durch Flüchtlinge gegeben haben. Manche Leute sollen drei-, viermal mit derselben Sozialversicherungsnummer durch die Kontrolle gegangen sein.«
Zu meinem Erstaunen erlischt der Scheinwerfer plötzlich, aber ich kann Caitlins Gesicht nicht von dem roten Nachbild vor meinen Augen unterscheiden. »Wie gesagt, die Fürsorgeschecks werden von der Bundesregierung ausgestellt. Daher fallen Betrugsversuche in die Bundesrechtsprechung. Ich rate Ihnen, mit dem FBI zu reden.«
»Das habe ich vor.«
»Dann viel Glück. Ich danke Ihnen, Ladies und Gentlemen. Und viel Spaß auf dem Fest.«
Die Gruppe der Reporter löst sich rasch auf, sodass ich mit Caitlin und zwei Technikern, die die Ausrüstung einpacken, zurückbleibe. Meine Augen haben sich erholt, und ich stelle fest, dass Caitlin so gut aussieht wie eh und je – einzigartig unter den Frauen, denen ich in meinem täglichen Leben begegne. Ihre helle Haut, ihre pechschwarze Haarmähne und ihre verblüffend grünen Augen sind eine verdammt attraktive Mischung. Außerdem strahlt sie eine fast beunruhigende Selbstbeherrschung aus. Und sie ist klug, wahrscheinlich zu klug, als ihr und anderen guttut.
»Möchtest du einen Spaziergang machen?«, fragt Caitlin.
»Sicher.«
Sie lächelt unbeschwert und entfernt sich von Rosalie, indem sie das obere Ende der Silver Street überquert, der Hügelstraße, die hinunter zu einem unserer Casinoschiffe und zum eigentlichen Kliff führt. Caitlin geht vor mir am Zaun entlang und schreitet über den Asphaltweg, den das Pionierkorps bei der Verstärkung des Kliffs angelegt hat. Fünfundvierzig Zentimeter hinter dem Zaun fällt der Boden wie eine Klippe zu den Ufern des Flusses ab.
»Du warst nie eine gute Fußgängerin«, sage ich, »es sei denn, du hattest ein bestimmtes Ziel.«
Sie lacht leise. »Vielleicht habe ich mich geändert.«
»Tatsächlich?«
»Wer weiß. Und wie geht’s dir so?« Der Inhalt ihrer Frage ist banal, doch ihr Tonfall deutet auf etwas ganz anderes hin.
Wenn man mit einer Frau sechs Jahre lang zusammenlebt, lernt man ihren Lebensrhythmus so gut kennen wie den eigenen. Die Art, wie sie spricht, wie sie atmet, schläft und sich bewegt. Das alles enthält eine Botschaft, wenn man aufmerksam ist, aber jetzt merke ich, dass meine Wahrnehmung von Caitlins Geheimsprache durch die Trennung abgestumpft ist. Vielleicht ist ein Spaziergang in diesem Fall schlicht ein Spaziergang.
»Es war schwierig«, erwidere ich mit gedämpfter Stimme. Zuzugeben, dass man im Irrtum war, ist nicht leicht, und schon gar nicht, wenn man eingestehen muss, dass ein anderer recht gehabt hat. »Schwieriger, als ich erwartet hatte.«
»Die Leute wollen keine Veränderungen«, sagt sie. »Das merke ich täglich und überall.«
»Aber du hast dich geändert?«
Ihre grünen Augen flackern. »Ich habe gesagt, vielleicht.«
Der kleine Park, den wir betreten
Weitere Kostenlose Bücher