Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
haben?«
»Durchaus möglich.«
»Motiv?«
»Rache. Kontrolle. Sexuelle Befriedigung.«
»Darf ich mir eins aussuchen?«
»Nein, es sind alle drei.«
Ruiz erstarrt unmerklich. Er räuspert sich und zückt sein marmoriertes Notizbuch. »Also, nach wem suche ich?«
»Sie suchen einen Mann Mitte dreißig bis Mitte vierzig. Er lebt allein, irgendwo privat, aber umgeben von Menschen, die kommen und gehen – eine Pension vielleicht oder ein Wohnwagenpark.
Vielleicht hat er eine Frau oder Freundin. Er ist überdurchschnittlich intelligent. Er ist körperlich stark, aber mental noch stärker. Sein sexuelles Verlangen beherrscht ihn nicht so weit, dass er die Kontrolle verliert. Er hat seine Gefühle im Griff. Er macht sich Gedanken über Spuren, die er hinterlassen könnte. Er will nicht gefasst werden.
Es ist ein Mensch, der erfolgreich bestimmte Bereiche abgespalten und komplett von seinem übrigen Leben isoliert hat. Seine Freunde, seine Familie und seine Kollegen haben keine Ahnung davon, was in seinem Kopf vor sich geht.
Ich glaube, dass er sadomasochistische Neigungen hat. So etwas kommt nicht aus dem Nichts. Jemand muss ihn damit bekannt gemacht haben – allerdings wahrscheinlich nur mit einer milden Spielart. In Gedanken hat er es dann auf eine Ebene getrieben, die jeden harmlosen Spaß hinter sich lässt. Was mich erstaunt, ist seine Selbstsicherheit. Es gab keinerlei Indizien für Angst oder Anfänger-Nervosität – «
Ich höre auf zu reden. Mein Kiefer ist schlaff geworden und ich habe einen schlechten Geschmack im Mund. Ich trinke einen Schluck Wasser. Ruiz sieht mich ausdruckslos an, setzt sich gerader hin und macht sich gelegentlich Notizen. Meine Stimme erhebt sich wieder über den Lärm.
»Ein Mensch wird nicht über Nacht zum ausgewachsenen Sadisten – jedenfalls nicht zu einem derart versierten. Organisationen wie der KGB bilden ihre Verhörspezialisten jahrelang aus, um so gut zu sein. Das Level von Kontrolle und Raffinesse war bemerkenswert. So etwas entwickelt man durch Erfahrung. Ich glaube nicht, dass er mit dieser Tat angefangen hat.«
Ruiz wendet sich ab, starrt aus dem Fenster und überlegt. Er glaubt mir nicht. »Das ist doch Unsinn!«
»Warum?«
»Nichts von all dem klingt wie Ihr Bobby Moran.«
Er hat Recht. Es ergibt keinen Sinn. Bobby ist zu jung, um ein derart erfahrener Sadist zu sein. Er ist zu erratisch und launenhaft. Ich bezweifle ernsthaft, dass er über die mentalen Fähigkeiten und die Bösartigkeit verfügt, einen Menschen wie Catherine so komplett zu beherrschen und zu kontrollieren. Die Körpergröße ja, aber nicht die psychologische Kraft. Andererseits hat Bobby mich immer wieder überrascht, und bisher habe ich seine Psyche nur oberflächlich angekratzt. Er hat mir Details vorenthalten oder sie wie im Märchen als eine Spur von Brotkrumen ausgelegt.
Märchen? So hört es sich für Ruiz an. Er ist aufgestanden und bahnt sich einen Weg an die Bar. Die Menschen treten eilig zur Seite. Er hat eine Aura wie ein Blaulicht, das die Leute warnt, ihm Platz zu machen.
Ich beginne bereits, das Ganze zu bereuen. Ich hätte mich da raushalten sollen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte meinen Verstand einfach abschalten, anstatt immer hinzusehen und zu analysieren. Ich wünsche mir, mich auf einen kleinen Ausschnitt der Welt konzentrieren zu können, anstatt zu beobachten, wie Menschen kommunizieren und welche Kleidung sie tragen, was sie in ihre Einkaufswagen packen, welche Automarke sie fahren, welche Haustiere sie sich aussuchen, welche Zeitschriften sie lesen und welche Fernsehsendungen sie sich anschauen. Ich wünschte, ich könnte aufhören hinzugucken.
Ruiz kommt mit einem weiteren Pint und einem Whisky zurück. Er kippt sich das flüssige Feuer in den Mund, als wollte er einen schlechten Geschmack wegspülen. »Glauben Sie wirklich, dass der Typ es getan hat?«
»Ich weiß es nicht.«
Er packt das Bierglas und lehnt sich zurück. »Wollen Sie, dass ich ihn mir anschaue?«
»Das liegt bei Ihnen.«
Ruiz atmet geräuschvoll und hörbar enttäuscht aus. Er vertraut mir noch immer nicht.
»Wissen Sie, warum Catherine nach London gekommen ist?«, frage ich.
»Laut ihrer Mitbewohnerin hatte sie ein Bewerbungsgespräch. Wir haben keine entsprechende Korrespondenz gefunden – sie hatte sie wahrscheinlich bei sich.«
»Was ist mit den Unterlagen ihrer Telefongesellschaft?«
»Unter ihrer Festnetznummer nichts. Sie hatte ein Handy, aber das ist
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