Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Danach muss ich Laub harken, die Schaukel ölen und bei der Tankstelle zwei weitere Säcke Kohle holen. Julianne kauft fürs Essen ein, während Charlie und ihre Großeltern sich die Weihnachtsbeleuchtung in der Oxford Street anschauen.
Meine weitere Aufgabe ist der Kauf eines Baumes – eine undankbare Pflicht. Die einzig wirklich gut proportionierten Weihnachtsbäume sind die, die in der Werbung verwendet werden.
Wenn man versucht, im wirklichen Leben einen zu finden, wird man unweigerlich enttäuscht. Der Baum lehnt sich zur einen oder anderen Seite, ist unten zu dicht oder oben zu karg. Er hat kahle Stellen oder die Verteilung der Äste ist unsymmetrisch. Selbst wenn man wie durch ein Wunder den perfekten Baum entdeckt, passt er nicht ins Auto, und nachdem man ihn auf das Dach geschnallt und nach Hause gefahren hat, sind die Äste gebrochen, abgeknickt oder verbogen. Man zwängt ihn, heftig schwitzend und an Kiefernadeln würgend, durch die Tür und wird mit der enervierenden Frage empfangen, die von zahllosen vergangenen Weihnachtsfesten widerhallt: »War das wirklich der Beste, den du finden konntest?«
Charlies Wangen sind rosig vor Kälte, und an ihren Armen baumeln glänzende Papiertüten voller neuer Kleidung und einem Paar Schuhe.
»Ich habe Absätze, Dad. Absätze!«
»Wie hoch?«
»Nur ungefähr so.« Sie deutet die Höhe zwischen Daumen und Zeigefinger an.
»Ich dachte, du wolltest kein niedliches Mädchen sein«, stichele ich.
»Sie sind nicht pink«, erwidert sie streng. »Und ich habe auch keine Kleider gekauft.«
Gottes Leibarzt im Wartestand gießt sich einen Scotch ein und wird ärgerlich, weil meine Mutter mit Julianne schwatzt, anstatt ihm Eis zu bringen. Charlie öffnet aufgeregt ihre Tüten, bevor sie plötzlich innehält. »Der Baum! Er ist wunderschön. «
»Das sollte er auch sein. Ich habe Stunden gebraucht, ihn zu finden.«
Ich muss mich bremsen, um ihr nicht die ganze Geschichte von meinem Freund in dem griechischen Deli in der Chalk Farm Road zu erzählen, der mir von einem Typen berichtet hat,
der von der Ladefläche eines Dreitonners »halb London« versorgt.
Die ganze Unternehmung roch förmlich nach Betrug, aber das war mir ausnahmsweise einmal egal. Ich wollte ein makelloses Exemplar erwerben, und genau das ist es – eine Pyramide von Kiefernnadel duftender Perfektion mit einem geraden Stamm und gleichmäßig verteilten Ästen.
Seit meiner Rückkehr bin ich im Wohnzimmer auf und ab gelaufen und habe den Baum bewundert. Julianne ist bereits leicht genervt von meiner wiederholten Frage »Ist das nicht ein großartiger Baum?«, auf die ich auch noch eine Antwort erwarte.
Gottes Leibarzt im Wartestand erklärt mir seine Lösung für die Verkehrsstaus in der Londoner City. Ich warte darauf, dass er eine Bemerkung über den Baum macht, will aber nicht selbst das Stichwort geben. Er redet davon, bis auf speziell festgelegte Stunden alle LKW aus dem West End zu verbannen. Dann fängt er an, sich über Einkäufer zu beklagen, die zu langsam gehen, und schlägt ein System mit schneller und langsamer Spur vor.
»Ich habe heute einen Baum gefunden«, unterbreche ich ihn, als ich nicht mehr länger warten kann. Er hält abrupt inne und dreht sich um. Dann steht er auf und mustert ihn, von einer zur anderen Seite gehend, genauer. Schließlich tritt er einen Schritt zurück, um die Gesamtsymmetrie bestmöglich begutachten zu können.
Dann räuspert er sich und fragt: »War das der Beste, den sie hatten?«
»Nein! Sie hatten dutzend Bessere! Hunderte! Dies war einer der Mickrigsten, Weihnachtsbaumabschaum, unterste Kategorie. Er hat mir Leid getan. Deswegen habe ich ihn mit nach Hause genommen. Ich habe ein verkümmertes Bäumchen adoptiert.«
Er wirkt überrascht. »So schlimm ist er auch nicht.«
»Du bist wirklich unglaublich«, murmele ich leise und halte
es keinen Moment länger mit ihm in einem Raum aus. Wie schaffen es Eltern, dass wir uns wieder wie kleine Kinder vorkommen, obwohl wir längst graue Haare und eine Hypothek haben, die sich anfühlt wie die Gesamtverschuldung der Dritten Welt?
Ich ziehe mich in die Küche zurück und mixe mir einen Gin-Tonic mit einem extra großen Schuss Gin, der über den Tresen schwappt. Mein Vater ist erst seit zehn Stunden hier, und ich greife bereits zur Flasche. Immerhin trifft morgen Verstärkung ein.
In den Albträumen meiner Kindheit bin ich immer gerannt – auf der Flucht vor einem Ungeheuer, einem tollwütigen Hund
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