Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
wütend?«
»Ja.«
»Sie kann glücklich sein, dass sie dich hat. Ich hoffe, das weiß sie.«
6
Als ich die Tür zu meiner Praxis öffne, spüre ich, dass jemand im Raum ist. Die Uhr mit dem Chromzifferblatt über den Aktenschränken zeigt halb vier an. Bobby Moran steht vor meinem Bücherregal.
Er dreht sich abrupt um, und ich weiß nicht, wer überraschter ist.
»Ich habe geklopft. Es hat niemand geantwortet.« Er lässt den Kopf sinken. »Ich habe einen Termin«, sagt er, meine Gedanken lesend.
»Solltest du den nicht lieber mit deinem Anwalt haben? Ich habe gehört, dass du mich wegen Verleumdung, Verletzung der Schweigepflicht und allem verklagen willst, was er sonst noch finden kann.«
Bobby wirkt verlegen. »Mr. Barrett hat gesagt, dass ich das machen soll. Er hat gesagt, ich könnte viel Geld bekommen.« Er drückt sich an mir vorbei und bleibt vor meinem Schreibtisch stehen. Er ist ganz nah. Ich rieche gebackene Donuts und
Zucker. Feuchte Haare kleben in einem ausgefransten Pony auf seiner Stirn.
»Warum bist du hier?«
»Ich wollte Sie sehen.« In seiner Stimme liegt etwas Bedrohliches.
»Ich kann dir nicht helfen, Bobby. Du warst nicht ehrlich zu mir.«
»Sind Sie immer ehrlich?«
»Ich versuche es zumindest.«
»Wie? Indem Sie der Polizei sagen, ich hätte dieses Mädchen getötet?«
Er nimmt einen glatten Briefbeschwerer aus Glas und wiegt ihn erst in der rechten, dann in der linken Hand, bevor er ihn ins Licht hält. »Ist das Ihre Kristallkugel?«
»Bitte leg das weg.«
»Warum? Haben Sie Angst, ich könnte Ihnen damit den Schädel einschlagen?«
»Warum setzt du dich nicht?«
»Nach Ihnen.« Er weist auf meinen Stuhl. »Warum sind Sie Psychologe geworden? Sagen’s mir nicht, lassen Sie mich raten … Ein depressiver Vater und eine überbehütende Mutter. Oder ist es ein dunkles Familiengeheimnis? Ein Verwandter, der angefangen hat, den Mond anzuheulen, oder eine Lieblingstante, die man wegschließen musste?«
Ich werde ihm nicht die Befriedigung geben zu wissen, wie nahe er der Wahrheit gekommen ist. »Ich bin nicht hier, um über mich zu reden.«
Bobby blickt auf die Wand hinter mir. »Wie können Sie dieses Examen aufhängen? Es ist ein Witz! Bis vor drei Tagen dachten Sie, dass ich jemand völlig anderes wäre. Sie wollten vor einem Gericht auftreten und einem Richter erklären, ob ich eingesperrt werden soll oder nicht. Was gibt Ihnen das Recht, das Leben eines anderen Menschen zu zerstören? Sie kennen mich gar nicht.«
Ich höre zu und spüre, dass ich ausnahmsweise einmal mit dem echten Bobby Moran spreche. Er wirft den Briefbeschwerer auf den Tisch, wo er in Zeitlupe auf mich zurollt.
»Hast du Catherine McBride getötet?«
»Nein.«
»Kanntest du sie?«
Er fixiert mich. »Sie sind aber nicht besonders gut darin. Ich hatte mehr erwartet.«
»Das ist kein Spiel.«
»Nein. Es ist wichtiger.«
Wir betrachten uns schweigend.
»Weißt du, was ein notorischer Lügner ist, Bobby?«, frage ich schließlich. »Es ist jemand, dem es leichter fällt zu lügen, als die Wahrheit zu sagen, egal in welcher Situation und unabhängig davon, ob es wichtig ist oder nicht.«
»Leute wie Sie wissen doch angeblich, wann jemand lügt.«
»Das ändert nichts daran, was du bist.«
»Ich habe bloß ein paar Namen und Orte ausgetauscht – den Rest haben Sie sich ganz allein falsch zusammengereimt.«
»Was ist mit Arky?«
»Sie hat mich vor einem halben Jahr verlassen.«
»Du hast gesagt, du hättest einen Job.«
»Ich habe Ihnen erzählt, dass ich Schriftsteller bin.«
»Du kannst jedenfalls sehr gut Geschichten erzählen.«
»Jetzt machen Sie sich über mich lustig. Wissen Sie, was mit Leuten wie Ihnen nicht stimmt? Sie können der Versuchung einfach nicht widerstehen, in der Psyche von jemandem rumzuwühlen und seine Sicht der Welt zu verändern. Sie spielen Gott mit dem Leben anderer Menschen …«
»Wer sind diese ›Leute wie ich‹? Wen hast du vor mir konsultiert? «
»Das spielt keine Rolle«, sagt Bobby abschätzig, »sie sind alle gleich. Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten, Tarotkartenleser, Hexendoktoren – «
»Du warst in einer Klinik. Hast du dort Catherine McBride kennen gelernt?«
»Sie halten mich wohl für einen Idioten.«
Bobby verliert beinahe die Fassung, fängt sich jedoch rasch wieder. Er zeigt beinahe null physiologische Reaktion auf Lügen. Die Weite seiner Pupillen, die Größe der Poren, die Durchblutung der Haut und die Atmung bleiben
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