Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
er? Hat er mich gesehen? Ich jogge langsam weiter und verliere ihn immer wieder aus den Augen. Meine Entschlossenheit bröckelt. Was, wenn er ein Stück weiter stehen geblieben ist? Vielleicht wartet er auf mich. Getragen von riesigen Betonpfeilern erstreckt sich über mir eine sechsspurige Kurve des Westway, doch das Licht der Scheinwerfer ist zu weit oben, um mir etwas zu nutzen.
Vor mir höre ich ein Platschen und einen gedämpften Schrei. Irgendjemand ist in den Kanal gefallen. Arme rudern im Wasser. Ich renne los. Unter der Brücke kann ich die blassen Umrisse einer Gestalt ausmachen. Hier sind die Ufermauern des Kanals höher, schwarz und rutschig.
Ich versuche meinen Mantel abzustreifen, doch mein rechter Arm verfängt sich im Ärmel, und ich wedele damit herum, bis ich ihn befreit habe. »Hier entlang! Hier drüben!«, rufe ich.
Er hört mich nicht. Er kann nicht schwimmen.
Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und springe. Die Kälte trifft mich so hart, dass ich Wasser schlucke, das ich durch Mund und Nase wieder ausspucke. In drei Zügen habe ich ihn erreicht. Ich schiebe von hinten meinen Arm unter ihn und ziehe ihn, seinen Kopf über Wasser haltend, rückwärts, während ich sanft auf ihn einrede, dass er locker lassen soll. Wir werden schon eine Stelle finden, wo wir herauskommen. Seine nasse Kleidung zieht nach unten.
Ich schwimme weg von der Brücke. »Hier kommst du mit den Füßen bis zum Boden. Halt dich einfach am Rand fest.« Ich hangele mich auf die Steinmauer und ziehe ihn nach mir herauf.
Es ist nicht Bobby. Zu meinen Füßen liegt hustend und spuckend irgendein armer Penner, der nach Bier und Erbrochenem stinkt. Ich untersuche seinen Kopf, seinen Hals und seine Gliedmaßen auf Prellungen. Sein Gesicht ist mit Tränen und Schnodder verschmiert.
»Was ist passiert?«
»Irgendein krankes Arschloch hat mich in den Kanal geworfen! In einem Moment schlafe ich noch friedlich, im nächsten fliege ich durch die Luft.« Er hockt vornübergebeugt auf den Knien und schwankt hin und her wie eine Unterwasserpflanze. »Ich sag Ihnen, es ist nicht mehr sicher. Es ist ein beschissener Dschungel … Hat er meine Decke geklaut? Wenn er meine Decke geklaut hat, könn’se mich gleich wieder reinwerfen.«
Seine Decke liegt unversehrt unter der Brücke auf seinem provisorischen Bett aus geplätteten Kartons.
»Was ist mit meinem Gebiss?«
»Ich weiß nicht.«
Er sammelt fluchend seine Sachen ein und drückt sie eifersüchtig an seine Brust. Ich schlage vor, einen Krankenwagen und die Polizei zu rufen, doch er will nichts davon wissen. Mein ganzer Körper hat angefangen zu zittern, und ich habe das Gefühl, Eissplitter einzuatmen.
Ich suche meinen Mantel und meine Schuhe, gebe ihm einen durchgeweichten Zwanzig-Pfund-Schein und sage ihm, dass er sich einen Platz zum Trocknen suchen soll. Wahrscheinlich kauft er sich eine Flasche Schnaps und wärmt sich von innen. Meine Füße quietschen in den Schuhen, als ich die Treppe zur Brücke hinaufsteige. Das Grand Union Hotel liegt an der Ecke.
Im Nachhinein kommt mir ein Gedanke und ich beuge mich über das Geländer. »Wie oft schlafen Sie hier?«, rufe ich nach unten.
Seine Stimme hallt unter dem steinernen Bogen wider. »Nur wenn das Ritz voll ist.«
»Haben Sie unter der Brücke je ein schmales Boot vor Anker liegen sehen?«
»Nee. Die machen ein Stück weiter da vorne fest.«
»Und was war vor ein paar Wochen?«
»Ich versuche, mich an nichts zu erinnern. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.«
Dem hat er nichts hinzuzufügen, und ich habe keine Autorität, ihn zu bedrängen. Elisa wohnt ganz in der Nähe. Ich überlege, ob ich an ihre Tür klopfen soll, aber ich habe ihr schon genug Ärger gebracht.
Nach zwanzig Minuten gelingt es mir, ein Taxi heranzuwinken. Der Fahrer will mich nicht mitnehmen, weil ich ihm die Sitze versaue. Ich biete ihm zwanzig Pfund extra. Es ist schließlich nur Wasser. Ich bin sicher, er hat schon Schlimmeres gesehen.
Jock ist nicht zu Hause. Ich bin so müde, dass ich es kaum schaffe, die Schuhe auszuziehen, bevor ich mich in das Gästebett fallen lasse. In den frühen Morgenstunden höre ich, wie Jock seinen Schlüssel ins Schloss schiebt. Eine Frau lacht betrunken, streift ihre Schuhe ab und macht eine Bemerkung über all die Gerätschaften.
»Warte, bis du siehst, was ich alles im Schlafzimmer habe«, sagt Jock, was ihr ein weiteres Kichern entlockt.
Ich frage mich, ob er Ohrstöpsel hat.
Es ist
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