Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
abgesagt.«
»Alle?«
Ich beuge mich über ihren Schreibtisch und blicke in den Terminplan für den heutigen Tag. Alle Namen sind rot durchgestrichen. Bis auf Bobby Moran.
Meena redet immer noch. »Mr. Lilleys Mutter ist gestorben. Hannah Barrymore hat die Grippe. Zoe muss auf die Kinder ihrer Schwester aufpassen …« Ich weiß, dass sie sich Mühe gibt, damit ich mich besser fühle.
Ich zeige auf Bobbys Namen und erkläre ihr, dass sie ihn durchstreichen soll.
»Er hat nicht angerufen.«
»Glauben Sie mir.«
Trotz Meenas eifriger Anstrengungen aufzuräumen ist meine Praxis nach wie vor ein Chaos. Überall sieht man Spuren der polizeilichen Durchsuchung bis hin zu dem feinen Grafitpuder, mit dem man Fingerabdrücke nachweist.
»Sie haben keine Ihrer Akten mitgenommen, aber einige waren durcheinander.«
Ich sage ihr, dass sie sich keine Sorgen machen soll. Die Aufzeichnungen sind nicht mehr wichtig, wenn ich keine Patienten mehr habe. Sie steht in der Tür und versucht, etwas Positives zu sagen. »Habe ich Sie in Schwierigkeiten gebracht?«
»Wie meinen Sie das?«
»Das Mädchen, das sich um den Job beworben hat … das ermordet wurde… hätte ich da anders verfahren sollen?«
»Auf gar keinen Fall.«
»Kannten Sie sie?«
»Ja.«
»Herzliches Beileid.«
Das ist das erste Mal, dass jemand die Tatsache anerkennt, dass Catherines Tod mich traurig gemacht haben könnte. Alle anderen haben sich benommen, als sei es mir so oder so gleichgültig. Vielleicht denken sie, ich würde Trauer besonders gut verstehen oder könnte sie kontrollieren. Wenn dem so ist, irren sie. Was ich mache, ist Patienten kennen lernen. Ich erfahre etwas über ihre tiefsten Ängste und Geheimnisse. Aus einer professionellen Beziehung wird eine persönliche. Es geht gar nicht anders.
Ich frage Meena nach Catherine. Wie klang sie am Telefon? Hat sie nach mir gefragt? Die Polizei hat ihre Briefe und die Bewerbung mitgenommen, aber Meena hat eine Kopie ihres Lebenslaufes behalten.
Sie holt sie für mich, und ich überfliege das Anschreiben. Das Problem mit Lebensläufen ist, dass sie einem praktisch nichts Relevantes über einen Menschen sagen. Schulen, Examen, Ergebnisse, Zusatzausbildungen, Berufserfahrung – nichts davon enthüllt etwas über die individuelle Persönlichkeit und das Temperament eines Bewerbers. Es ist, als wollte man eine Person nach ihrer Größe oder Haarfarbe beurteilen.
Bevor ich zu Ende gelesen habe, klingelt das Telefon im Büro. In der Hoffnung, es könnte Julianne sein, nehme ich den Anruf entgegen, bevor Meena abnehmen und ihn durchstellen kann. Die Stimme am anderen Ende ist wie ein Sturm von der Windstärke zehn. Zum Auftakt lässt Eddie Barrett eine Reihe farbenprächtiger Beschimpfungen los. Besonders fantasievoll zeigt er sich, als es um mögliche Verwendungen meiner Doktorurkunde im Falle akuten Toilettenpapiermangels geht.
»Hören Sie, Sie überqualifizierter Köpfeverdreher, ich melde Sie bei der britischen Psychologischen Gesellschaft, der Gesundheitsbehörde und dem staatlichen Register für Fachgutachter. Bobby Moran wird Sie wegen Verleumdung, Pflichtverletzung und allem verklagen, was er sonst noch finden kann. Sie sind eine Schande! Man sollte Ihnen die Zulassung entziehen! Und vor allem sind Sie ein Arschloch!«
Ich habe keine Zeit zu antworten. Jedes Mal wenn es sich anfühlt, als würde er eine Pause in seiner Schmährede einlegen, wütet er einfach weiter. Vielleicht gewinnt er so seine Fälle – er hält einfach nicht lange genug die Klappe, als dass sonst irgendjemand ein Wort dazwischen bekommen könnte.
In Wahrheit habe ich auch gar nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen. Ich habe mehr professionelle Richtlinien und persönliche Moralvorstellungen missachtet, als ich aufzählen kann, aber ich würde es wieder tun. Bobby Moran ist ein Sadist und notorischer Lügner. Aber gleichzeitig empfinde ich ein schreckliches Gefühl des Verlustes. Indem ich das Vertrauen eines Patienten verraten habe, habe ich eine Tür geöffnet und
über ihre Schwelle ein Land betreten, das eigentlich tabu ist. Jetzt warte ich darauf, dass mir die Tür in den Arsch knallt.
Eddie legt auf und ich starre das Telefon an. Dann drücke ich auf eine Kurzwahlnummer und höre Juliannes Stimme auf dem Anrufbeantworter. Mein Magen zieht sich zusammen. Ein Leben ohne sie erscheint mir unvorstellbar. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll. Ich versuche, fröhlich zu klingen, weil ich mir denke, dass
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