Adrianas Nacht
noch ein bekanntes Gesicht finden würde. Ich blieb an einem brünetten Hinterkopf hängen, folgte ihm vom anderen Ende der Bar über die Tanzfläche bis zu einer der Sitzboxen im hinteren Teil des Clubs. Als die Frau sich etwas zu mir drehte, sah ich, dass ich richtig geraten hatte: Es war Marie, eine Schauspielerin, die eine Zeitlang in Vorabendserien mitgespielt hatte und deren eigenes strahlend schönes Gesicht seitdem in der Fernsehszene als verbraucht galt. Das war insofern wirklich schade, da sie im Gegensatz zu vielen ihrer Serienkollegen eine wirklich gute Schauspielerin war. Ich winkte ihr zu, sie winkte lachend zurück und schlenderte mit einem kaum zu übertreffenden Modelhüftschwung und großen, energischen Schritten zu meinem Platz an der Bar. Ich küsste zur Begrüßung ihre Wangen und begann unsere Konversation mit einem Kompliment. Wie überaus reizend sie mir immer erscheine und wie sehr mir die letzte Theaterproduktion, in der ich sie gesehen hatte, ein Klassiker in einer extrem reduzierten Version, Marie spielte eine der untergehenden jungen Königinnen mit jeder Faser ihres Körpers wirklich eindrücklich, wie sehr sie und ihr Spiel mir gefallen hätten. Sie erzählte mir, dass sie sich vor kurzem mit ihrer Agentur überworfen habe und nun ohne Agenten dastehen würde. Und dass sie sich gern von mir betreuen lassen würde. Das Wort betreuen konnte sie auf eine so gleichzeitig unschuldige und anzügliche Art sagen, dass es mir warme Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich legte frohgemut meinen Arm um Maries schlanke Taille und sagte, ich sei, was sie beträfe, immer schon zu jeder Schandtat bereit gewesen und stünde ihr natürlich jederzeit zu Diensten. Sie zog mit beiden Händen meinen Kopf zu sich herab, küsste mich aufreizend auf den Mund und rief: »Ja, dann bis später vielleicht! Würde mich freuen!«, und tänzelte zurück zu der Gruppe, mit der sie gekommen war. Dann drehte sie sich noch einmal zu mir und machte mit ihrer Rechten diese Lass uns Telefonieren -Geste.
Wenige Minuten später, ich nippte gerade an meinem zweiten Wodka Sour und versuchte, noch einmal den reizenden Blick der schönen Marie aufzufangen, betrat Nicole den Raum. Ihr Auftritt hätte einen roten Teppich verdient und eine Phalanx von Fotografen, so atemberaubend hatte sie sich aufgemacht. Ihr schlanker, durchtrainierter Körper wurde von einem Hauch von kurzem Kleid mehr von feinen Seidenfäden umsponnen denn bekleidet. Durch die Erinnerung an ein Kleid, oder auch den lichten Seidennebel, hindurch sah man ihren Spitzenslip. Ihre kleinen, festen Brüste sprangen, von keinem BH gezügelt, fröhlich lockend bei jedem ihrer Schritte umher. Sie ließ alle Männer in ihrer Umgebung aufmerken und mit ihren Blicken an ihr kleben bleiben wie Insekten an diesen schlimmen braunen Fliegenfängern. Zur Vollendung ihres Outfits trug sie, wohl um die Bodenhaftung nicht völlig zu verlieren, schwere, schwarze Stiefel, die noch einem Hells Angel zur Ehre gereicht hätten. Nicole war trotz ihres mir eher langweilig erscheinenden Berufs eine wirkliche Diva, absolut Bigger than Life und von einer erotischen Ausstrahlung, dass sie selbst bei Stromausfall das ganze Blue Sky erleuchtet hätte.
Als Nicole mich erreichte, rutschte ich von meinem Barhocker und schloss sie wirklich erfreut in die Arme. Sie schmiegte sich an mich, und plötzlich verstand ich, wem dieses freizügige Outfit galt. Noch bevor wir ein Wort gewechselt hatten, waren wir schon beim Vorspiel angelangt. Ich flüsterte Nicole ins Ohr, dass ich seit Ewigkeiten keine Frau mehr gesehen hätte, die mich so mit ihrem Kleid beeindruckt hätte wie sie gerade, und fragte, von wem es sei. Sie antwortete mit einem unverständlichen japanischen Namen und nannte mich einen elenden, altmodischen, sentimentalen Romantiker. Dann küsste sie meine Wange.
Wir sprachen natürlich erst eine ganze Weile über Adriana, ihren schrecklichen Zustand, den Unfall, andere Unfälle, verstorbene Freunde und woran sie gestorben waren, aber bald war es einfach zu laut, um sich weiter über ernste Dinge zu unterhalten. Also schaltete Nicole mit einem über die Musik hinweg deutlich wahrnehmbaren klack in ihrem Kopf auf Partyprogramm um, legte die Programme Sex haben und Drogen nehmen in den Startordner, startete blitzschnell ihr Betriebssystem neu und fragte, ob ich auch etwas ungelöschten Kalk haben wolle. Dies war ein Scherz, den ich irgendwann mal in ihrer Anwesenheit über die
Weitere Kostenlose Bücher