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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon von Winterstein
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dann definitiv nicht mehr weiter. Nach wenigen Minuten sagte Marie schluchzend: »Es ist besser, wenn du jetzt gehst.«
    Sie rollte sich auf dem Bett von mir weg. Dort, mir den Rücken zugewandt, blieb sie liegen und wartete ab, was passieren würde.
    Ich sagte: »Rufst du mich an?«
    Marie zuckte mit den Schultern. Ich verließ ihre Wohnung. Draußen auf dem Flur schob ich mit meinen Schuhen noch die Scherben in einer Ecke zusammen, dass sich da niemand etwas tat – und dass bitte niemand Marie etwas tat.
    Simone saß strahlend schön hinter ihrem Tresen und begrüßte mich mit einem breiten Lächeln. Sie hatte, vielleicht mir zu Ehren, sogar eine gestärkte weiße Schwesternhaube auf, die man auch aus der Fetischszene gut kennt. Die obersten drei Knöpfe ihres makellos weißen Schwesternkittels hatte sie geöffnet, so dass ich einen wunderschönen Blick in ihr appetitliches Dekolleté erhaschte, als sie aufstand, um mir über den Tresen hinweg einen Kuss auf die Wange zu geben. Ich fragte sie gleich nach dem Zustand von Adriana, und sie antwortete, dass es da keine Veränderung gegeben habe. Das EEG, das ständig ihre Hirnströme überprüfte, sei so ruhig wie ein See bei völliger Windstille. »Nicht ungewöhnlich für ihren Zustand, aber natürlich auch nicht gut.«
    »Und wie geht es dir?«, fragte ich dann aus Höflichkeit hinterher, und Simone strahlte mich an und antwortete: »Ach, geht so, aber ich hab mich gefreut, dich heute zu sehn.«
    Dann zog ich die Geschichte aus der Tasche und sagte, in der Hoffnung, mit Adriana allein sein zu können, mit den Blättern vor Simones Nase wedelnd, dass sie die Geschichte dann später gern haben könne. Sie lächelte mich an, schaute etwas traurig, als sie verstand, dass dies weniger ein Angebot als eine Ausladung war, und sagte: »Okay, dann hab mal viel Spaß mit ihr.«

14.
    Ich schritt langsam den Flur hinunter. Das vierte Zimmer bildete Adrianas Reich. Der Raum war abgedunkelt, einige Geräte, von der Tür aus hinter Adrianas Bett aufgestellt, fiepten und piepsten leise, das Atemgerät hauchte, sonst gab es kein Geräusch. Nur, ich hörte sie erst jetzt, vielleicht, weil Simone sie genau in diesem Moment angestellt hatte, leise Radiomusik, die allerdings kaum mehr als solche zu erahnen war. Das gedämpfte Licht, die gedämpften Geräusche, die in allem zurückgenommene Atmosphäre ihres Krankenlagers, das war Schneewittchens Sarg. Ob ich das Zeug dazu hatte, Adrianas Prinz zu sein und sie wach zu küssen, oder besser: zu lesen, das würde sich erst zeigen.
    Auf ihrem weißen Lager, mit einem geschmackvollen hellblauen Nachthemd bekleidet, thronte Adriana. Ich ging langsam und ganz still zu ihr, so als fürchtete ich, sie aus einem leichten Schlummer zu wecken. Auf halbem Wege stand der Besucherstuhl, den ich mir griff und vorsichtig zu ihrem Bett trug. Ich stellte den Stuhl ab und betrachtete ihr Gesicht. Ich fand es schön, wie immer. Der vollendete Schwung ihrer Augenbrauen, ihre Nase, ihr schöner Mund, mit dem sie mit Leichtigkeit die tollsten Dummheiten sagen und besonders auch tun konnte. Aber da war auch etwas Beängstigendes, das ich erst später verstand. Ich spürte, dass Adriana auf eine unmerkliche Art zu welken begann. Ihre Haut war eine Nuance fahler als vor zwei Tagen, als ich sie das letzte Mal sah. Die zwei ersten wirklich als solche zu bezeichnenden Falten an ihrer Nasenwurzel (und ich hoffte, sie würde nie erfahren, dass ich in einem Satz sie und Falten als Hauptwort auch nur gedacht hatte) waren eine Spur tiefer, schärfer eingeschnitten. Ja, sie verlor ihre Kraft, ihre Vitalität, ihre Lebenslust, ihr Leben. Ich war schockiert über das, was ich da dachte. Das konnte nicht sein, dass sie nun langsam verschwand. Aus meinem Leben, das wäre okay gewesen, ihre Entscheidung, aber aus der Welt? Das durfte nicht sein. Ich nahm ihre Hand, etwas fester, ruppiger, als ich wollte, und streichelte sie. Ich flüsterte in ihr Ohr, teils, weil ich dies für die richtige Form der Ansprache hielt, teils, weil ich nicht wollte, dass Simone, die mich darum gebeten hatte, die Tür offen zu lassen, meine hilflosen Monologe hörte: »Adriana, so geht das nicht. Das kannst du nicht machen, einfach so nicht mehr wiederkommen. Denk an Toni, denk an deinen Mann, denk meinetwegen sogar an mich, Adriana. Erinnere dich doch, wie schön dein Leben war, wie du gerade wieder begonnen hattest, das Leben mit allen Fasern deines Körpers auszukosten …«
    Sanft strich ich

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