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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon von Winterstein
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mit meinem Handrücken über ihr Gesicht. Es fühlte sich kühl an, kühler als sonst. Natürlich, ich hatte sie nie so ruhig getroffen. Wenn wir uns sahen, pulsierte das Blut in uns wie ein reißender Strom, schnell, feurig, leidenschaftlich. »Adriana, ich werde dir jetzt etwas vorlesen, und ich will, dass du dich erinnerst, an dein Gefühl, daran, wie sehr dich das erregt hat, ja? Erinnere dich, ich bin bei dir, wir haben das zusammen erlebt. Bitte … Adriana …«
    So begann meine Lesung, leise, traurig, trauernd. Ich strich das Papier auf ihrer Matratze glatt und begann langsam, flüsternd, jedes einzelne Wort bedächtig und sehr genau aussprechend, zu lesen. Wort für Wort, Satz für Satz, Zeile für Zeile, dehnte die Zeit, um Adriana Raum zu verschaffen, sich der Erzählung so hinzugeben, wie sie sich mir hingegeben hatte, las, streichelte sie, auch um wieder ein Gefühl für sie zu bekommen als Geliebte, für ihren Körper als lebendiges Wesen, das Lust wollte und Sex. Ich las, und meine Hand fand ihren Weg unter Adrianas Decke. Ich las und streichelte sanft und langsam ihren Bauch, streichelte kurz ihre Brust, aber das durfte ich nicht, es war unpassend, die Wehrlose so zu berühren, streichelte ihren Arm, ihre Schulter und las, so absurd es klingt, Adriana ihren eigenen Porno vor, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Ich las und war jetzt an der Stelle angelangt, als Adriana tief in sich die Explosion wachsen fühlt, sich die Hitze über ihren Körper ausbreitet, ich las, spürte selbst die Hitze in mir, las und …
    Adriana gab sehr leise eine Art Stöhnen von sich, ein tiefes Ausatmen, einen Seufzer. Einer der Apparate begann laut zu piepsen, und wenige Sekunden später kam Simone ins Zimmer geschossen und brüllte: »Scheiße, Leon, was hast du gemacht? Verschwinde, wenn dich jemand hier sieht, krieg ich einen Scheißärger. Hallo, aufstehen … raus!«
    Ich war total schockiert und hatte keine Ahnung, was passiert war. Starb Adriana in diesem Moment? Wachte sie auf? Ich rannte aus der Station, durch die halbtransparente Glastür bis zu meinem Wagen, blieb stehen, suchte meine Schlüssel, meine Hände zitterten, ich drückte den Türöffner, setzte mich ins Auto, schloss die Tür hinter mir und versuchte, ruhig zu atmen. Ein … aus … ein … aus … So saß ich sicher zehn Minuten in meinem Wagen, wartete, zu keinem klaren Gedanken fähig, wartete, was drinnen passierte. Ich sah zwei Schwestern und einen Arzt den Flur entlanglaufen. Weiter nichts. Es passierte nichts. Eine unglaublich lange Zeit passierte nichts. Der Gang blieb leer. Niemand kam oder ging. Ich starrte auf die Glastür der Station, und nichts passierte. Eine Viertelstunde lang passierte nichts. Dann kamen die Schwestern und der Arzt wieder den Gang entlang. Ihnen war nicht anzusehen, was sie getan haben könnten. Wieder wartete ich, wusste nicht, was ich tun sollte. Nach weiteren zehn Minuten kam auch Simone wieder und setzte sich an den Empfangstresen zurück. Ich wartete sicherheitshalber, ob da noch jemand anderer kommen würde, dann nahm ich meinen kleinen Rest Mut zusammen und ging zurück in die Station.
    Als ich hereinkam, blickte Simone von der Arbeitsplatte vor sich auf, lächelte wieder auf ihre wirklich betörende Art und hielt meine Seiten in die Höhe. »Na, da bekommt man ja auch wirklich Herzklopfen, puuh, und das habt ihr zwei gemacht? Cool!«
    Dann erklärte Simone mir armem Laien, was mit Adriana passiert war. Die Kurzfassung, die sie mir gab, nachdem ich ihrem medizinischen Vortrag einige Minuten lang zugehört hatte, lautete: »Du bist irgendwie wirklich zu ihr durchgedrungen. Du solltest das unbedingt weitermachen – schaden kann’s zumindest nicht, glaub ich.«
    Ich schüttelte Simone freudig, die, als ich sie wieder losließ, mit einem »Ich les dann mal noch ein paar von deinen heißen Zeilen!« wieder hinter ihrem Tresen Platz nahm. Ich ging mit schnellen Schritten zurück zu Adriana, zog den Stuhl erneut ans Bett und setzte mich zu ihr, meiner schlafenden Geliebten.
    Adriana schien sich nicht verändert zu haben. Ich streichelte ihr Gesicht. Dann legte ich meinen Kopf neben ihren, nahm ihre Hand, die ich sanft drückte, und nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen.
    Simone weckte mich am folgenden Morgen mit einer Tasse Kaffee. Sie strich mir mit der Hand über den Kopf, sagte, dass bald ihre Ablösung von der Frühschicht kommen werde und ich jetzt leider wirklich gehen müsse. Ich hob schwer meinen

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