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Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
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eine recht große und gute Gesellschaft hat. Dagegen hier! In diesem Nest! Ach! Wenn unsere Mittel es uns erlauben würden, woanders hinzugehen! Sie aber, bedenken Sie nur! Sie verkaufen Ihre Villa, ziehen nach…«
    Plötzlich schien ihr etwas einzufallen; ihre Stirn verfinsterte sich ein wenig. Lag Dreux nicht viel zu nahe bei La Tour-1'Evêque?
    »Warum gehen Sie nicht einfach nach Paris?« fragte sie. »Auf jeden Fall, verlieren Sie keine Zeit. Sie könnten an einem der nächsten Tage unangenehmen Besuch erhalten. Verstehen Sie? Verstehen Sie mich, Mademoiselle Mesurat?«
    Sie legte eine Hand auf den Arm des jungen Mädchens und gab ihm einen leichten Stoß. Aber auf Adriennes Zügen lag dieselbe benommene Starre wie in dem Augenblick, als Madame Legras sie verlassen hatte. Ihre Augen drückten nicht die kleinste Regung aus. Marie Maurecourt sah sie eine Weile an, dann sagte sie ungeduldig:
    »Na schön! Sie geben die Tragödin, die Tragödin wie heute morgen, nehme ich an. Wissen Sie, ich sage Ihnen lieber gleich, ich habe starke Nerven. Bei mir verfängt das nicht, diese … diese … diese Art von Hysterie. Ich bin hergekommen, um Ihnen einen Gefallen zu tun.«
    Wieder wurde sie vom Zorn übermannt.
    »Eigentlich ja! Um Ihnen einen Gefallen zu tun. Und wenn ich an all das denke, was Sie mir angetan haben! Ah! Sie können wirklich von Glück reden, daß Sie eine Christin vor sich haben, Mademoiselle. Sie sind in Gefahr, begreifen Sie nicht? Schon morgen kann die Obrigkeit sich für Sie interessieren. Und dann? Was tun Sie dann? Dann ist es zwecklos, Komödie zu spielen, nicht wahr?«
    Sie stand auf und begann wie jemand zu sprechen, der angesichts eines drohenden Unglücks von panischer Angst gepackt wird und den Kopf verliert:
    »Gehen Sie doch! Worauf warten Sie! Packen Sie Ihre Koffer, noch heute abend. Ihr Notar wird sich um alles übrige kümmern.«
    Sie beugte sich über Adrienne, ergriff ihre Hand und blickte ihr in die Augen.
    »So hören Sie doch!« rief sie, als spräche sie mit einer Tauben.
    »Was ist denn los mit ihr?« murmelte sie.
    Sie wartete noch ein paar Sekunden, unschlüssig. Zuerst glaubte sie, Adrienne halte sie zum Narren, aber dieser Eindruck verflog rasch. Im Blick des jungen Mädchens lag etwas, was nicht täuschen konnte, es war ein leerer Blick, wie der einer Schlafenden, deren Lider man anhebt; die blauen Augen waren auf nichts gerichtet, sahen vielleicht nichts mehr.
    Plötzlich wandte sich Marie Maurecourt zur Tür und ging.

 
IX
     
    Die Nacht brach herein. Eine jener schönen Sommernächte, bei denen man nicht genau sagen kann, wann sie beginnen, so hell bleibt der Himmel, auch nach Sonnenuntergang. Es war halb neun. Die Bäume waren schwärzer, die Vögel waren verstummt, der Himmel aber war blau.
    Wie auch sonst an Feiertagen hatte Désirée für ihre Herrin ein kaltes Abendessen vorbereitet und war, da sie bis zum nächsten Tag frei hatte, aus dem Haus gegangen. Sie hatte nicht versucht, Adrienne nach dem Gespräch, das sie mit ihr geführt hatte, wiederzusehen, und wahrscheinlich war sie, wie fast alle Leute an diesem Abend, auf dem öffentlichen Ball von La Tour-1'Evêque.
    Adrienne war allein im Salon. Sie saß auf dem Kanapee, doch von Zeit zu Zeit stand sie auf und ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Ihre Bewegungen verrieten nicht die geringste Ungeduld; langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, und etwas Gedankenverlorenes lag in ihrer Haltung, wenn auch nicht in ihren Augen, denn ihre Augen waren noch immer die gleichen, starr wie die Augen einer Puppe. Die Hitze war ihr offenbar lästig, und sie hatte ihre Bluse am Hals aufgehakt. Hin und wieder seufzte sie vor Überdruß, und wenn sie vor dem Spiegel stehenblieb, klopfte sie leicht auf ihren Haarknoten und zog nachdenklich die Stirn in Falten.
    Sie hatte nicht zu Abend gegessen. Seit dem Besuch von Marie Maurecourt hatte sie den Salon nicht verlassen. Jetzt hatte sie sich wieder gesetzt und blickte um sich, mit allen äußeren Zeichen der Aufmerksamkeit, aber immer noch mit jenem seltsamen Blick, der von einem Gegenstand zum anderen schweifte und doch keinen zu sehen schien. Es wurde immer dunkler; dennoch dachte sie nicht daran, die Lampe anzuzünden. Sie schlug die Beine übereinander, verschränkte die Hände, und mehrmals schüttelte sie mit einer ruckartigen Bewegung den Kopf, dann stand sie auf, um wieder hin und her zu gehen.
    Als es im Salon vollkommen finster war, setzte sie sich in der

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