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Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
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flüsterte:
    »Ich habe eine Freundin besucht.«
    »Wen?«
    Sie hatte nicht die Kraft zu lügen und antwortete geradeheraus:
    »Madame Legras.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Du weißt wohl nicht, was für eine Frau das ist?«
    Sie gab keine Antwort und wurde bleich. Er nahm eine Lampe von dem runden Tischchen.
    »Geh in dein Zimmer«, befahl er.
    Adrienne verließ den Salon, begleitet von ihrem Vater, der hinter ihr herging und die Lampe ein wenig über seinen Kopf hielt. Beide stiegen die Treppe hinauf. In diesem Haus, dessen Baumeister auf kleinem Raum möglichst viel hatte unterbringen wollen, war die Treppe ziemlich steil und das Hinaufgehen deshalb mühsam. Auf halbem Weg blieb Adrienne stehen und lehnte sich an das Geländer. Sie hatte das Gefühl, ihre Knie könnten jeden Augenblick nachgeben, und fragte sich, ob ein Sturz bis hinunter auf den Marmorboden des Flurs genügen würde, um sie zu töten. »Nicht hoch genug«, dachte sie.
    »Mach schon«, sagte Monsieur Mesurat, als wolle er seine Tochter zu dem Vorhaben, das ihr flüchtig in den Sinn gekommen war, ermutigen.
    Sie stützte sich auf das Geländer und ging weiter. Auf dem Treppenabsatz ihres Zimmers blieb sie vor der Tür stehen und sah ihren Vater an.
    »Gute Nacht«, sagte sie.
    Sie hoffte, er würde sie nun allein lassen.
    »Geh hinein«, sagte Monsieur Mesurat und deutete mit dem Finger auf ihr Zimmer.
    »Du gehst noch nicht zu Bett?« fragte sie mit versagender Stimme.
    Ohne zu antworten, stieß er sie ein wenig zur Seite, öffnete die Tür und trat ein; dann stellte er die Lampe auf einen Tisch und stemmte die Arme in die Hüften.
    »Ich warte«, sagte er.
    Sie trat ein und blieb an der Tür stehen.
    »Gib mir den Schlüssel zu diesem Schrank«, sagte Monsieur Mesurat.
    Adrienne begann an allen Gliedern zu zittern; sie zögerte kurz, aber der Blick ihres Vaters zwang sie, in der Nachttischlade zu wühlen und den Schlüssel hervorzuholen. Grob riß er ihn ihr aus der Hand und schloß den Schrank auf; mit einer Art Miauen drehte die Tür sich in ihren Angeln, und der Spiegel warf den Schein der Lampe wie einen Blitz zurück. Monsieur Mesurat tauchte seine Hände in die Wäschestapel und fand schließlich die kleine Schatulle aus Olivenholz.
    »Mach sie auf«, sagte er barsch.
    »Warum, Papa?« fragte das junge Mädchen in flehendem Ton.
    Sie preßte einen Handrücken an die Stirn. Plötzlich hatte sie den Wunsch, vor ihrem Vater auf die Knie zu fallen. Sie fühlte sich auf einmal so feige, daß es ihr völlig unwichtig erschien, zu wie tiefer Erniedrigung ihre Angst sie noch treiben könnte. Mit einem Arm stützte sie sich auf das Fußende des Bettes, ihr Handgelenk knickte um.
    »Wieviel hast du deiner Schwester gegeben?« fragte Monsieur Mesurat.
    »Fünfhundert Franc.«
    »Fünfhundert Franc!«
    Er wiederholte diese Zahl noch einmal, als habe er Mühe, sie zu glauben, dann schien er etwas sagen zu wollen, besann sich jedoch anders.
    »Mach die Schatulle auf«, sagte er.
    Adrienne zog ihre Uhr aus dem Rockbund und löste einen kleinen Schlüssel von der Kette. Als die Schatulle geöffnet war, warf Monsieur Mesurat einen Blick hinein, um sich zu vergewissern, daß eine Rolle mit fünfundzwanzig Goldmünzen fehlte. Er wandte sich dem jungen Mädchen zu.
    »Es stimmt also«, sagte er.
    Und dann schrie er: »Dumme Gans! Das Geld siehst du nie wieder, nie wieder, hörst du? Was glaubst du, wovon deine Schwester es dir zurückzahlen soll?«
    Er unterbrach sich, plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen.
    »Das geht von deiner Mitgift ab. Hältst du dich für so reich, glaubst du, man kann ohne Geld heiraten, ha?«
    Adrienne wich vor dem Alten zurück, der auf sie zukam. In ihrem Kopf drehte sich etwas, und dunkel erinnerte sie sich an Madame Legras' Worte, als sie über Heiraten und Geld geredet hatten. Durch welches fatale Schicksal war alles wie in einem Alptraum miteinander verkettet? Man hätte meinen können, Monsieur Mesurat habe sich mit dieser Frau verbündet, um Verzweiflung in das Herz seiner Tochter zu säen. Sie brachte keine Antwort hervor. Sie starrte auf das Gesicht ihres Vaters, ohne daß es ihr gelang, den Blick von ihm abzuwenden; diese Augen, in die das Blut winzige Netze zeichnete, schlugen sie in den Bann. Sie wich noch weiter zurück und stieß mit den Handflächen an die Wand; und sie hatte das Gefühl, daran festgenagelt zu werden.
    »Du hast ihr geholfen fortzugehen«, fuhr ihr Vater mit dumpfer Stimme fort. »Ihr beide

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