Advocatus Diaboli
verpflichtet, ihre Stirn zu entblößen, um in den Lateran eingelassen zu werden. Dieser Befehl beunruhigte Gui. Er wusste, dass er in Fauvel de Bazans Reich eintrat, und mit entblößtem Kopf fühlte er sich darin nackt.
Der Wachposten des Laterans zeigte ihm, wo er seine Vorladung präsentieren sollte. Kurz darauf sah sich Benedetto einem jungen Diakon mit rosigem, gepudertem Gesicht und pomadisierten Händen gegenüber, der erhöht hinter einem Empfangspult saß. Er musterte die Dokumente und teilte ihm mit, dass Monsignore Bartholo Moccha derzeit keine Audienzen im Papstpalast gewähre und an seinem Wohnsitz in der Via del Tessitore zu finden sei. Er fügte hinzu, dass Moccha Mitglied der wahlberechtigten Kardinäle des Konklaves sei. Das führte Benedetto zu der Überlegung, dass es wenig wahrscheinlich war, dass dieser Kardinal als Advocatus Dei sich besonders für seinen Fall interessierte, solange sich in den Debatten über die Wahl des Pontifex noch nicht einmal ein Name herauskristallisiert hatte.
Nichtsdestoweniger beschloss er, Moccha in seiner Wohnung aufzusuchen.
Diese lag in einem volkstümlichen Viertel und erwies sich als ein weitläufiges Gebäude, in dem sich früher ein römischer Tempel befunden hatte. Monsignore Moccha führte ein Leben fern der prunkvollen Residenzen der Kirchenfürsten. Vom Vorzimmer aus erblickte Benedetto herumlaufende Kinder, Frauen, die miteinander zankten, Hunde, die auf den Treppen umherstreunten,
Mönche, die sich mit Soldaten unterhielten, Kamine, in denen Kessel und Drehspieße hingen.
Gui wähnte sich eher im Schloss eines verschwenderischen und zügellosen Herrn aus den Zeiten langhaariger Könige, der Ehefrauen und Konkubinen unter seinem Dach um sich scharte und stolz auf seine zahlreichen Nachfahren war, als am Wohnsitz eines der höchsten Vertreter der Kirche.
Ein Kardinal, der das Leben so in vollen Zügen genoss, hätte im Viertel der Würdenträger wohl einen sehr schlechten Eindruck gemacht.
Ein Diakon empfing ihn, unbeeindruckt von dem Trubel um ihn herum. Bruder Martino war klein, rundlich und intelligent und gehörte zu jenen Männern, denen nichts mehr fremd war und die daher nach einem Gemetzel ungerührt über das Schlachtfeld schreiten konnten. Er warf einen Blick auf die Dokumente der Abtei von Pozzo über das Wunder auf Evermachers Grab.
»Hm«, machte er kopfschüttelnd. »Cantimpré?«
Benedetto bejahte.
»Folgt mir.«
In seinem Schlepptau schritt Benedetto Gui durch Säle, an deren Wänden zum Teil noch die Mosaikreste des antiken Tempels zu sehen waren. Er begegnete einer Perserin mit langen schwarzen Haaren, gebräunter Haut und grünen Augen, durchquerte eine Waffengalerie, die eines Kreuzritters würdig gewesen wäre, und trat sodann in ein kleines Zimmer ein.
Das Tageslicht drang durch vier in der Decke eingelassene Fensteröffnungen ein. Der Boden war mit Intarsien versehen, und die Wände waren mit Holz getäfelt. In der Mitte thronten ein Schreibkasten und Lesepulte mit Büchern. Hinter dem Schreibkasten erblickte Benedetto auf einer Anrichte die Imitation einer griechischen Büste und eine Pietà, die aus dem gleichen rosafarbenen Marmor gehauen waren.
»Monsignores Kabinett«, erklärte der Diakon und ließ ihn eintreten. »Ich werde ihn sofort benachrichtigen.«
Benedetto war allein. Sein erster Gedanke war, dass er nie von hier fliehen könnte, falls die Dinge eine schlechte Wendung nähmen. Er trat an die Holzvertäfelungen heran und klopfte mit den Fingernägeln daran: Es klang hohl. Die Gespräche konnten mitgehört werden. Er trat an eines der Lesepulte in der Erwartung, dort einen Psalter zu finden - tatsächlich handelte es sich um eine Sammlung griechischer Lyrik. Moccha ist ein gebildeter Mann, dachte Benedetto. Er blätterte eine Seite um und stieß auf Sapphos ketzerische Hymne . Und er ist nicht engstirnig …
Der Schreibkasten war leer. Er wandte sich der griechischen Büste zu. Er blieb davor stehen, ohne dass ihm einfiel, welche antike Persönlichkeit sie verkörperte.
Da trat Kardinal Moccha durch eine Geheimtür ein, die hinter einer Holztafel verborgen war.
Er zählte etwa fünfzig Jahre; obschon er fettleibig war und sein Gesicht die Spuren vieler Ausschweifungen trug, strahlte er noch immer eine beeindruckende Kraft aus. Abgesehen von seinen Ringen deutete nichts darauf hin, dass es sich um einen hochrangigen Kirchenmann handelte: Sein Oberkörper war nackt, der Kopf von einem Handtuch bedeckt und
Weitere Kostenlose Bücher