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Advocatus Diaboli

Titel: Advocatus Diaboli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou Hanna van Laak
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großes Aufsehen erregte, denn der Gelehrte beanspruchte darin das Recht, die Natur frei von vorgefassten Anschauungen zu untersuchen, verschwand Arthuis de Beaune. Niemand wusste, wohin er sich zurückgezogen und warum er der Welt den Rücken gekehrt hatte. In regelmäßigen Abständen ließ er indes die Ergebnisse seiner neuen Arbeiten veröffentlichen, die durch ihre Vielseitigkeit und Kühnheit erstaunten.
    Der alte Mann wiederholte seine Frage: »Wonach sucht Ihr, junger Freund?«
    Pater Aba, der noch immer mit dem Ornat eines Laienbruders verkleidet war, dachte wieder an die Bruchstücke der Wunderhostie, die sich in Fleisch und Blut verwandelt hatte.
    »Mein Name ist Cantacler«, antwortete er hastig, »ich arbeite an der Aufklärung der Rätsel, die über dem Eucharistiewunder von Douai im Jahre 1254 liegen.«
    Arthuis de Beaune nickte, um deutlich zu machen, dass ihm die Geschichte dieses Wunders gegenwärtig sei.
    »Das Brot des Altars hat sich im Mund einer Jungfrau in ein blutiges Stück Fleisch verwandelt«, bemerkte er. »Die Frage bleibt: Ist es menschliches oder tierisches Gewebe? Wenn Ihr die Antwort darauf bringt, so nehmt Ihr unserem guten Bruder Aimé Davril, der diese Wunder seit zehn Jahren untersucht, eine große Last von den Schultern. Seid Ihr soeben im Kloster angekommen?«
    »Ich bin seit einigen Stunden hier.«
    Beaune lächelte.
    »Ihr werdet Tage brauchen, bis Ihr Euch mit allem, was dieser großartige Ort bietet, vertraut gemacht habt. Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Einladung hierher.«
    Nichts in der Stimme oder im Verhalten des alten Mannes deutete auf Argwohn hin. Pater Aba dachte bei sich, dass in diesem Kloster ein so starkes Gefühl der Sicherheit herrschte, dass niemand
sich über eine unbekannte Gestalt Gedanken machte: Wenn sie hier war, so deshalb, weil sie die Erlaubnis dazu hatte.
    Aba blickte um sich: Er sah weder einen Soldaten noch einen Wachposten auftauchen. Seine Opfer, der Novize, der Geistliche und der Reiter, waren wohl noch nicht aufgefunden worden.
    »Meister, ich war bei Eurem Vortrag vor fünfzehn Jahren in Paris anwesend.«
    Arthuis lächelte und sagte: »Ich hätte an diesem Tag besser Stillschweigen bewahrt. Ich habe nur einen unglaublichen Proteststurm seitens meiner Kollegen geerntet.«
    »Daher Euer Rückzug?«
    Arthuis de Beaune hob den Arm, um auf den Raum zu zeigen, in dem sie sich befanden.
    »Seht Euch um. Hier arbeiten alle zusammen! Die Grammatiker, die Rhetoriker, die Dialektiker, die Theologen, die Arithmetiker, die Geometer, die Astronomen, die Chirurgen, die Übersetzer und die Alchimisten. Kein Bereich des Geistes ist abgeschottet oder für weltliche Denker verboten, nichts wird in geheimen oder verschwörerischen Zirkeln abgehandelt wie in Paris oder Oxford. Jeder kann sich mit der Arbeit seines Nachbarn befassen und seine Fähigkeiten anbieten, um ein Problem zu lösen.«
    Pater Aba musste zugeben, dass dies wohl eine der Eigenarten dieses Ortes war, der er zwar noch keine Beachtung geschenkt hatte, deren Bedeutung aber nicht zu leugnen war.
    »Im Schutz dieser Mauern steht es uns frei, ohne die Fesseln zu studieren, die der Volksglaube oder die Engstirnigkeit hoher Kirchenkreise uns anderswo auferlegen.«
    »Aber dennoch …«
    Aba wagte es nicht, seinen Gedankengang zu Ende zu bringen.
    »Ja?«
    »Diese wundersamen Dinge, die ich auf den Studiertischen gesehen habe …«

    »Nun?«
    »Sie sind nicht etwa alle echt?«
    Arthuis lächelte.
    »Wozu sollten Fälschungen uns nützlich sein? Alles ist echt, mein junger Freund! Vieles ist das Ergebnis langer Jahre des Forschens. Die Reliquien, die Ihr im Kloster vorfindet, sind die wahren; die falschen findet Ihr eher in den Kirchen oder in den Reliquiaren der Pfarreien, wo wir sie ausgetauscht haben. Das berühmte Schlüsselbein des heiligen Benedikt, das man in Padua verehrt, besteht in Wirklichkeit aus dem Stoßzahn eines Walrosses; das echte ist hier, bei uns.«
    Pater Aba war fassungslos. Die Hostien, Aldeberts Reliquien, die Milchzähne des Jesuskindes …?
    Arthuis erklärte: »Unsere Aufgabe hier ist es, die Natur der Wunder, positiver wie negativer, zu begreifen, nicht Attrappen oder Mystifikationen zu produzieren.«
    Aba musterte einige der Studiertische, die um sie herumstanden.
    »Woran arbeitet Ihr, Meister?«
    Arthuis antwortete mit entwaffnender Schlichtheit, als würde er sagen: »Ich kümmere mich um die Felder …«:
    »Oh, ich … Ich arbeite daran, das Geheimnis von Mariä

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