Advocatus Diaboli
seine kleine Agnès wiederfand.
»Meine Tochter!« Er schloss sie in seine Arme. »Wir müssen auf der Stelle fliehen!«
Doch Agnès hielt ihn zurück.
»Nicht ohne meine Freunde«, sagte sie. »Wir müssen sie retten!«
Schnell gelangte Agnès unter dem Schutz der Männer ihres Vaters zu Jehan, Damien und Simon.
»Perrot fehlt!«, rief sie aus.
»Wo ist er?«, stieß Isarn hervor, er machte sich Sorgen wegen der verlorenen Zeit und dem Herannahen des Feuers.
»Wir wissen es nicht«, antworteten die Kinder. »Seit mehreren Tagen schon sind wir von ihm getrennt …«
Der Räuber aus Toulouse ließ seinen Blick im Kloster umherwandern. Die Flammen brannten so lichterloh, dass man so gut wie am helllichten Tag sah.
Die Feuerzungen breiteten sich mit Furcht erregender Geschwindigkeit aus. Isarn sah schon den Augenblick kommen, in dem sein Fluchtplan in Gefahr geriet.
»Wir haben keine Zeit mehr für Perrot!«, brüllte er. »Er oder wir! Sputet euch!«
Er zog die Kinder mit sich fort, ohne auf ihre Schreie zu achten: »Nein! Ohne Perrot geht es nicht! Wir müssen ihn finden!«
Das Feuer hatte auch von dem riesigen Saal mit den Seziertischen Besitz ergriffen, wo Pater Aba die tausendfachen Arbeiten des Klosters entdeckt hatte. Unter den züngelnden Flammen gab das
Holz nach, und das ganze Gebäude fiel in sich zusammen und begrub Jahre des Studiums und der Entdeckungen unter seinen Trümmern.
Die Kerkermeister, die in dem für hochrangige Besucher reservierten Flügel das Zimmer Até de Brayacs bewachten, ließen sie frei, bevor sie selbst flohen, denn sie glaubten, die Tochter von Artemidore de Broca dürfe nicht in den Flammen umkommen.
Até war noch immer wie im Fieberwahn, sie entriss einem der Wachposten ein Schwert und verschwand.
Als sie ins Freie trat, packte sie das Entsetzen über die Katastrophe. Sie machte sich auf die Suche nach Abt Profuturus.
Sie fand den Mann in seinem Arbeitszimmer niedergestreckt und im Sterben liegend, sein Gesicht war gerötet und von den Glasscherben zerschnitten. Ein Mönch in seiner Nähe war mitsamt seiner Kutte vollständig von den Flammen verzehrt worden.
»Wo ist Perrot?«, schrie Até. »Er muss gerettet werden! Wo ist das Kind?«
Profuturus’ Lippen klebten zusammen. Er hatte kaum noch die Kraft, eine Hand zu heben: Ein Schlüssel lag darin, festgekrallt zwischen seinen erstarrten Fingern.
Dann machte er eine Bewegung zu dem klaffenden Fenster seines Arbeitszimmers hin und zeigte auf den höchsten Punkt der Klosteranlage.
Dort befand sich ein kleines, einzelnes Steinkreuzfenster.
Até entriss ihm den Schlüssel und sprang davon.
Währenddessen versammelte Isarn seine Mannen und die Kinder in einem der Kreuzgänge. Nachdem er sich versichert hatte, dass alle, wie in seinem Schlachtplan vorgesehen, anwesend waren, ließ er fünf Fässer in Brand setzen, die einen Feuerring um den Garten legten und ihn unzugänglich und uneinsehbar machten. Anschließend
zertrümmerte er gemäß den Anweisungen des alten Althoras, der ihn in die Geheimnisse dieses Klosters eingeweiht hatte, die steinerne Einfassung des Brunnens in der Gartenmitte.
Das Wasser ergoss sich vollständig durch die geschlagene Bresche auf das Gras.
Am Grund des Brunnens erblickte er einen schmierigen und grünlichen Ring. Er befahl seinen Männern, ihn hochzuziehen, dadurch wurde eine Steinplatte angehoben, die den Zutritt zu einem Geheimgang frei gab. Dem einzigen im Kloster Albertus Magnus, durch den eine Flucht möglich war. Abgesehen von einer Handvoll Männern war er allen unbekannt.
Isarns Truppe drängte hinein.
Nachdem sie einem langen, finsteren Tunnel nach unten gefolgt waren, traten sie schließlich auf der mit Gestrüpp bewachsenen Ebene, die die Festung umgab, ins Freie.
Unverzüglich eilten die Flüchtigen zum Meer und der Landebrücke entgegen, wo das Schiff Heiliger Linus sie erwartete. Die Besatzung, geführt von Isarns Männern, hatte Befehl, auf offener See zu warten und sich zu nähern, sowie die ersten Flammen im Kloster sichtbar wurden.
Isarn, Agnès, Jehan, Damien, Simon und die Räuber stiegen in Kähne, die sie zu dem Schiff beförderten.
Das Schiff legte unverzüglich ab.
Sie waren frei.
Até rannte die Etagen des Klosters empor, ohne um ihr Leben zu fürchten, und trotzte den Flammen und der Glut.
All ihre Gedanken kreisten um Perrot.
Plötzlich gewann ihr Leben einen tiefen Sinn: Sie musste diesen Jungen retten, das Böse wiedergutmachen, das sie ihm
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