Advocatus Diaboli
benetzte. Danach trat Rainerio in sein großes Arbeitszimmer. Dort erblickte er überrascht seine Schwester Zapetta
in Begleitung zweier Männer, die ihm gänzlich unbekannt waren.
Der eine war ein Junge von etwa dreizehn Jahren, der andere, ein bärtiger Mann mit halblangen Haaren, saß auf einem Stuhl und befand es nicht für nötig, sich bei seinem Eintreten zu erheben. Er hatte maskenhafte Gesichtszüge und ein scheeles Auge, und seine Schultern waren eingezogen wie bei einem Lahmen.
»Guten Tag, mein Bruder«, sagte Zapetta. »Ich möchte dir einen treuen Freund vorstellen: Benedetto Gui. Er hat dir vieles mitzuteilen …«
Zwei Tage zuvor erkannte der alte Althoras an dem Lärm, den er machte, den kraftvollen und zornigen Schritt Isarns. Dieser drang in das Zimmer des Blinden in Padua ein, während der Räuberkonvoi auf dem Rückweg nach Toulouse war.
Isarn sprach kein Wort.
Er packte den Alten am Hals und erwürgte ihn.
Er hatte soeben von den Verbindungen Althoras’ mit Rom erfahren und begriffen, wie sehr er über viele Jahre nur eine Marionette in den Händen des Blinden gewesen war. Und wie sehr dieser mit dem Leben seiner Tochter gespielt hatte.
Althoras hauchte sein Leben aus, ohne Widerstand zu leisten.
Die Tür zum Kabinett von Artemidore de Broca gab unter den Schlägen nach. Sechs Soldaten drangen ein und stürzten sich auf den alten Kanzler. Im Vorzimmer legte man Fauvel de Bazan in Fesseln.
Kurz darauf erschien der Papst und erklärte, als er die zwei Gefangenen sah: »Es ist vorbei, Broca …«
II
D ie Audienz, die Papst Nikolaus IV. Benedetto Gui gewährte, D fand in Gegenwart der Vertreter des Kaisers, des Königs von Frankreich, des Königs von England und der Tempelritter im Lateran statt.
Artemidore de Broca, Fauvel de Bazan, Rainerio und Kardinal Rasmussen - der bei seiner Ankunft in Flandern verhaftet worden war - wurden gemeinsam vorgeführt. Einige Tage im Gefängnis hatten ihnen viel von ihrem Hochmut geraubt.
Benedetto Gui saß zusammengesunken auf einem Stuhl mit Rädern, den er selbst erfunden hatte. Noch immer waren die Spuren der Folterungen deutlich sichtbar: Er konnte kein Wort klar artikulieren, er sah nur mit einem Auge, und ein großer Teil seines Gesichts war gelähmt; er konnte weder gehen noch seine Hände und Arme koordiniert bewegen.
Nach seiner Flucht aus dem Gefängnis und seinem schwindelerregenden Sturz in die Fluten des Tibers war Benedetto in der Strömung untergegangen, jedoch weiter flussabwärts von den »Wäschern« herausgefischt worden. Diese hatten geglaubt, sie würden einen neuen Leichnam an Land ziehen, und waren nicht wenig überrascht, als sie ihren Freund Gui an der Schwelle des Todes entdeckten.
Um ihren früheren Verrat wiedergutzumachen, taten sie nun alles, ihn ins Leben zurückzuholen.
Benedetto blieb mehrere Tage bei ihnen, bis er ihnen mühsam zu verstehen geben konnte, dass er nach Ostia gebracht werden wollte.
Dort wurde er von Oronte und Julia Salutati, den Eltern seiner Frau Aurelia, aufgenommen, die ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatten. Sie waren über seinen Zustand entsetzt und ließen ihm jene Pflege zukommen, die für seine Genesung unerlässlich war.
Seine Bewegungsfähigkeit erlangte Benedetto nicht mehr vollständig wieder, doch Schritt für Schritt gewann er die Herrschaft über sein Gehirn zurück. Mit Ordnung und Disziplin sortierte er seine Gedanken und Erinnerungen, setzte das zersplitterte Mosaik seines Bewusstseins wieder zusammen und gewann die Kontrolle über sich selbst zurück.
Unterstützt von Aurelias reichem Vater, von dem treuen Matteo, von der Witwe Maxime de Chênedollés, die ebenfalls darauf brannte, die Wahrheit über ihren Mann in Erfahrung zu bringen, von Schwester Constanza in der Abtei von Pozzo, die trotz der ihr durch Artemidore de Brocas Männer zugefügten Qualen nie verraten hatte, wo sich die von Gui eingesehenen Unterlagen über Rainerio befanden, und schließlich von dem Mönch mit dem reglosen Gesicht, der Kardinal Moccha bis zu dessen Tod beistand, hatte Benedetto Gui die ganze Verschwörung aufgedeckt, die Cantimpré mit Rainerio, Rainerio mit dem Konvent von Meggido, den Konvent von Meggido mit Chênedollé und Chênedollé mit ihm verband …
Der Papst erteilte ihm das Wort.
Da Benedetto nicht klar sprechen konnte, hatte er mit Hilfe eines einfallsreichen Schreibverfahrens ein beeindruckendes Plädoyer zu Papier gebracht, das er Matteo überreichte.
Dieser Junge,
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