Advocatus Diaboli
meinem Ruf entsprechend, genügen mussten, um mich zu Kardinal Moccha zu führen. Bevor er ermordet wurde (sein Fluchtplan war aufgeflogen), fand Chênedollé noch Zeit, um seinem Freund mitzuteilen, welche Rolle er mir bei der großen Aufklärung zugedacht hatte. Als Moccha vom schrecklichen Ende Chênedollés erfuhr, suchte er mich unverzüglich in meinem Laden auf; doch Fauvel de Bazan hatte bereits meine Verhaftung in die Wege geleitet, und er fand das Haus in Schutt und Asche vor! Die Leute erzählten ihm indes, dass es mir gelungen sei, zu fliehen. Moccha erwartete daher ungeduldig mein Kommen, um Chênedollés Dokumente zu veröffentlichen. Bedauerlicherweise kam er, als ich unter falschem Namen in seinem Palast vorstellig wurde, nicht im Traum auf die Idee, dass vor ihm der Mann stand, den Chênedollé ausgewählt hatte, um Artemidore de Brocas Pläne zu vereiteln!«
Der Papst und sein Gefolge hörten begierig und fasziniert von dem unglaublichen Gespinst an Intrigen, das er aufgedeckt hatte, Guis Erklärungen an.
Artemidore, Rainerio und Rasmussen hingegen lauschten mit versteinerter Miene. Einzig Fauvel de Bazan war fassungslos; er wusste, was Benedetto Gui erlitten hatte, und konnte nicht verstehen,
wie dieser Mann dem Tod und der vollständigen Zerstörung seiner geistigen Fähigkeiten entronnen war!
»Das ganze Unternehmen der Kindesentführungen begann an dem Tag, an dem Althoras, der Mann des Konvents im Süden Frankreichs und Anführer der schwarzen Räuber, entdeckte, dass an der Tochter seines Nachfolgers Isarn Stigmata auftraten. Er ließ Abt Profuturus kommen, damit dieser sie untersuchte. Der Abt war fassungslos über die Eigenschaften des von Agnès vergossenen Blutes und glaubte, endlich das universelle Blut gefunden zu haben, von dem in Salomos Texten die Rede ist; daraufhin stürzte er sich in sein aberwitziges Wiederauferstehungsprojekt. Artemidore wiederum sah darin die Verwirklichung der geistigen Prinzipien des Konvents und jahrzehntelanger wissenschaftlicher Anstrengungen, die von der Kirche verboten waren. Sie begannen, die Wunderkinder dieser Welt zu jagen. Profuturus war so davon besessen, dass er keine Kosten scheute und die Entführungen vervielfachte, selbst auf die Gefahr hin, den Konvent zu kompromittieren. Als Artemidore das klar wurde, war es bereits zu spät.
Er wollte aus dem Unglück Gewinn ziehen und befahl die Säuberung.«
Matteo fuhr fort: »Hätte ich, Benedetto Gui, nicht überlebt, dann wäre der Triumph des Kanzlers und seiner Anhänger heute vollkommen und von Dauer! Sie hätten sich ihrer Feinde entledigt und könnten ihre finsteren Pläne ungehindert verfolgen.«
Benedetto erklärte, dass weder Artemidore noch Profuturus vermutet hatten, sie könnten auf ein so außergewöhnliches Kind wie den kleinen Perrot stoßen. Er habe dank der Dokumente Mocchas über Cantimpré, die dessen getreuer Mönch aufbewahrt hatte, herausgefunden, dass einige griechische Kirchenväter in ihren Schriften behaupteten, die Erlösung sei ein immerwährender Prozess und der Erlöser nehme in jeder Generation Gestalt unter
den Menschen an; er weigere sich jedoch, sich zu offenbaren, und nehme so von seiner Mission Abstand, oder er werde verraten und heimlich umgebracht, bevor er sich offenbart habe.
Jedes Mal, wenn er Gestalt annehme, vermehre sich die Zahl der Menschen mit wundersamen Fähigkeiten in seiner Nähe, die ihn führen und schützen sollen. Moccha hatte erkannt, dass genau das der Grund für die rätselhafte Zunahme von Wunderkindern in Cantimpré und in der ganzen Region war. Perrot war ein Erlöser.
»Wo befindet er sich nun?«, fragte Nikolaus IV.
»Niemand weiß, ob er den Brand des Klosters überlebt hat …«
Nach einem langen Moment des Schweigens antwortete der Papst; er schwor vor den Vertretern des Königs als Zeugen, dass er die noch freien Mitglieder des Konvents bis zum letzten Mann ausmerzen und allen, die versucht hatten, sich davon zu lösen, verzeihen werde.
Er beglückwünschte Benedetto Gui.
Dieser indes beobachtete während der Rede des Papstes Artemidore de Brocas Gesicht und bemerkte, dass der alte Kanzler die triumphierende Miene, die er aufgesetzt hatte, nicht ablegte; es war fast, als würde er den Erfolg seines Vortrags abstreiten.
Benedetto nahm sein aus Buchstaben bestehendes Rechenbrett zur Hand und schrieb damit einige Sätze nieder.
Am Ende der Audienz ergriff Matteo noch einmal das Wort und las Guis Botschaft vor:
»Der Kanzler
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